Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Thennberg oder Versuch einer Heimkehr

Thennberg oder Versuch einer Heimkehr

Titel: Thennberg oder Versuch einer Heimkehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gyoergy Sebestyen
Vom Netzwerk:
müssten doch anders riechen. Ich bin kein Jude, sagte Richard Kranz. Ach so, sagte Lilo. Etwas später sagte sie: Jetzt werden Sie schön weitermarschieren nach Wien, und nicht dass Ihnen einfällt, dem Heinz etwas zu verraten. Du wirst ihm selber alles erzählen, sagte Richard Kranz, und dann fragte er: Wie ist das gewesen, vorher? Was hast du da gesagt? Und Lilo wollte nicht antworten, aber er fragte sie immer wieder, so dass sie endlich die Augen niederschlug und so leise, dass es kaum zu hören war, in sich hineinflüsterte: Ich hab’ gesagt, du Armer, du Armer, du Armer.

N
    a, ich hab’ mir nur gedacht, es ist besser, wenn Sie’s gleich von mir erfahren, hatte Heinrich Moravec ein paar Jahre später zu Erich Mohaupt gesagt, Sie als Gemeinderat erfahren ja so was ohnehin, außerdem gibt es an der Sache nichts zu verheimlichen, Sie als Frontsoldat werden am besten wissen, dass man da wieder einmal Stunk machen will, was will man denn von dem armen Kind, jeder weiß, dass ich ihr ein guter Vater war, geradezu vernarrt bin ich in sie gewesen, man soll die Toten ruhen lassen, sag’ ich, aber immer gibt es Leute, denen ist schier gar nichts heilig, der Untersuchungsrichter heißt Doktor Zahidil, nie gehört, musste mich eben vorladen, muss sich mit solchen lächerlichen Dingen abgeben, wegen irgendwelcher anonymen Anzeigen, das heißt wegen einer einzigen Anzeige, weil ich den Leuten zu groß geworden bin, da will man dem Moravec eins auswischen, und das alles für unsere Steuergelder, Herr Apotheker.
    Heinrich Moravec hatte dann noch gefragt, ob der Herr Apotheker nicht zufällig wüsste, wer die Anzeige erstattet habe, Erich Mohaupt hatte den Kopf geschüttelt, und dann war Heinrich Moravec weggefahren in seinem Mercedes, dessen Kupplungspedal des kürzeren linken Beines wegen in einer Spezialausführung hergestellt worden war. Später, nach Geschäftsschluss, hatte Erich Mohaupt sich endlich niedergelassen, im selben Winkel, in dem sein Vater gesessen war, Tag für Tag, bis zu seinem Tode, im selben kleinen lederüberzogenen Armstuhl. Ich glaube, hatte der Richter Mohaupt einmal zu seiner Schwiegertochter gesagt, die Dinge streben nach nichts so sehr wie nach wirklicher Ordnung, nach dem Augenblick derBalance, und in unserem speziellen Fall heißt das, dass ich erst nach Erichs Rückkehr abgehen werde, nicht, weil mir das Leben so wichtig ist, sondern weil mich das Leben, das heißt: unser Leben hier, bis dahin noch brauchen kann. Ich habe dem Vater nicht glauben wollen, hatte Katherina Mohaupt ihrem Mann am Tag seiner Rückkehr erzählt, und dabei hatte er ja recht, kaum haben wir ihn begraben, bist du da, vielleicht hat er sterben müssen, damit du nach Hause kannst, der liebe Gott liebt die Tauschgeschäfte.
    Sie hatte dann über den Zustand der Apotheke berichtet, ausführlich und gewissenhaft, über die letzten Jahre und die letzten Tage ihres Schwiegervaters, über all die Nöte und Ängste, die sie hatte erleiden müssen, sie erzählte zum Beispiel, die Russen hätten die Apotheke nicht nur aus „Achtung vor der Wissenschaft“ verschont, zu der sie „vom Vater in beinahe fließendem Russisch ermahnt“ worden wären, sondern weil sie danach „als Draufgabe“ auch noch ein Dutzend Flaschen voll selbstgebrannten Obstschnaps bekommen hatten; diesen Schnaps habe der Vater im Keller verstecken lassen, lange vor Kriegsende, die Russen wären damals noch im südlichen Ungarn gestanden, zur selben Zeit hätte Vater auch damit begonnen, seine Kenntnisse der russischen Sprache, die er während und nach dem Ersten Weltkrieg in einem Gefangenenlager bei Tobolsk erworben hatte, wieder aufzufrischen, und den Text jener Rede, die er dann wirklich vortrug, auswendig zu lernen, „Der Vater hatte bis zum Ende ein eisernes Gedächtnis“, und auch in den nächsten Wochen und Monaten erzählte Katherina Mohaupt viel undbereitwillig über die Geschicke der Apotheke; auf all die anderen Dinge aber, die sich in den letzten Tagen des Krieges und in den ersten Tagen des Friedens ereignet hatten, kam sie so gut wie niemals zu sprechen.
    Mohaupt hörte zu. Er bemerkte mit Widerwillen, dass im Mittelpunkt all der Berichte und Geschichten immer sein Vater stand oder seine Frau, dass es immer nur um die Apotheke ging, um den Gemüsegarten, um die eigene Gefährdung, Spitzfindigkeit, Klugheit und Schwäche, so als hätte die ganze Zeit hindurch die übrige Welt nicht existiert, er hatte den Eindruck, der Horizont seiner Frau

Weitere Kostenlose Bücher