Thennberg oder Versuch einer Heimkehr
wurde das Apothekerhaus um ein Stockwerk erhöht. Die Apotheke florierte, selbst die Holzfäller schickten ihre Frauen um Medikamente, und es kam auch immer wieder vor, dass die eine oder andere Holzfällersfrau ihren Mann um Tabletten schickte. Katherina verlor an Gewicht. Mohaupt hatte den Gewichtsverlust seiner Frau lange nicht bemerkt; seine Handstrich manchmal, nach dem Schlafengehen, über die Taille einer Neunzehnjährigen, den Fingerkuppen war jene längst vergangene erste vertraute Berührung gegenwärtig. Manche wurden dicker und die anderen wurden schlanker, war es denn wichtig? Man lag beisammen. Die Dinge streben nach nichts so sehr als nach wirklicher Ordnung, hatte der Vater gesagt. Zur Winterszeit fiel Schnee, im Sommer summten Bienen. Katherina hatte, wie es schien, ihre Dämonen verscheucht oder besiegt: Es kam auf dasselbe heraus.
Dann fuhr Heinrich Moravec an der Apotheke vorbei, hielt, kam herein, sagte ein paar Sätze, nannte den Namen des Untersuchungsrichters Doktor Zahidil, fuhr in seinem Mercedes weiter. Etwas später, nach Geschäftsschluss, saß Mohaupt im kleinen lederüberzogenen Armstuhl, in dem sein Vater gesessen war, rauchte die erste und einzige Zigarre des Tages und beschloss, seine Frau zu fragen, ob sie Heinrich Moravec angezeigt habe. Er konnte nicht recht daran glauben, er meinte, man dürfe Böses nicht mit Bösem vergelten, er verabscheute anonyme Anzeigen, die jemanden hinterrücks, unvorbereitet, wie aus dem Dunkeln treffen; doch zugleich fühlte er so etwas wie Genugtuung darüber, dass wenigstens Katherina, wenn schon nicht er selbst, seine vielleicht niemals ehrlich empfundene Freundschaft zu Richard Kranz doch noch bestätigt hatte. Aber auch das war nicht gar so wichtig. Wenn sie’s wirklich getan hatte, dachte Mohaupt, dann ist sie nun endlich gesund, dann konnte sie gar nichts anderes tun, um gesund zu werden, als nur dieses eine, dann musste sie es tun, hatte sie ein Recht, es zu tun. Er ging hinüber in die Wohnung.Er wollte Katherina fragen, aber er fragte sie nicht vor dem Abendessen und nicht nachher, und fragte sie auch später nicht, als er bei ihr lag, mit der Hand väterlich besänftigend über ihre Taille strich. Schlaf gut, sagte er leise, und wollte sie immer noch fragen und wartete, dass sie ihm eine gute Nacht wünsche, aber sie sagte nichts, und dann fühlte er am Kinn ihren Mund, die harte Berührung ihrer Zähne, du, sagte sie zwischen den Zähnen an seiner Haut, du, und lag plötzlich da mit weit ausgebreiteten Armen und weit auseinander gespreizten Beinen, und warf dann die Arme um seinen Hals, umklammerte mit den Schenkeln seine Hüften, es tat weh, ihr Schoß warf sich empor, stülpte sich über ihn, und er wusste, dass er nichts mehr fragen musste, und dann wusste er nur mehr, dass er sie liebte, und erst viel später, als er aufgewacht war und im Netzwerk des Vorhanges das morgendliche Dämmerlicht sah, dachte er: Mein Gott! Endlich, endlich.
D
erBaunternehmer Heinrich Moravec gab vor dem Untersuchungsrichter Doktor Zahidil unter anderem etwa Folgendes zu Protokoll:
Es fällt mir schwer, über die letzten Tage meiner Tochter zu reden. Das ist verständlich. Es gibt insgesamt drei Gründe dafür, dass ich beim besten Willen nicht in der Lage sein kann, den wahren Ablauf der Dinge darzulegen.
Erstens habe ich Liselotte wirklich geliebt, und wenn man liebt, dann findet man die Worte nicht so leicht. Ich liebte sie viel mehr, als ein Vater seine leibliche Tochter lieben kann. Für einen Vater ist seine leibliche Tochter ein Kind, ein Geschenk Gottes. Das Geschenk ist erfreulich, aber auch natürlich. Wo gehobelt wird, fliegen Späne, sagt man. Wo Mann und Frau zusammen sind, bleiben die Kinder nicht aus. Außerdem wollen die meisten Väter keine Töchter. Sie wollen Söhne. Für mich aber ist Liselotte nicht ein Geschenk Gottes gewesen, sondern ein Geschenk meiner verstorbenen Frau. Sie hat Liselotte mit in die Ehe gebracht.
Dieser Tatbestand war mir vor der Eheschließung gleichgültig. Ich war in meine spätere Frau verliebt, und es war mir egal, ob sie Kinder hatte oder nicht. Alle waren in meine spätere Frau vernarrt. Sie hat dazu nicht den geringsten Anlass gegeben. Deshalb habe ich damals nicht recht glauben können, dass ich bei ihr Chancen hatte. Sie war eine sehr solide Ehefrau, und nachdem Wallach gefallen war, lebte sie zurückgezogen. Sie ging einkaufen, sie holte hin und wieder Liselotte von der Schule ab, sie besuchte manchmal
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