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Thennberg oder Versuch einer Heimkehr

Thennberg oder Versuch einer Heimkehr

Titel: Thennberg oder Versuch einer Heimkehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gyoergy Sebestyen
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seines Vaters oder seiner Mutter mit einem Besuch bei deren gemeinsamem Grab zu begehen. Vielleicht ist es mein zukünftiger Todestag, dachte er, während er am Grab seiner Eltern stand, vor dem Granitblock, auf dem zwar die beiden Namen und unter jedem Namen zwei Jahreszahlen zu lesen waren, mit goldenen Buchstaben und Ziffern in den Stein graviert, nicht aber die Tage der Geburt und des Todes. Er ging dann an einem Schuppen vorbei, in dem offenbar die Gärtner und die Totengräber ihr Werkzeug aufbewahrten, ging an der Kapelle vorbei auf das Tor zu, bog dann ab von dem mit Kieselsteinen bedeckten Weg und sah sich die Gräber an, eines nach dem anderen, suchte nach der Jahreszahl 1945, fandendlich eine auf dem Grabkreuz des Leopold Stanzl, Mohaupt hatte ihn gekannt, „Gott bestraft die Bösen“, stand da, und „Ruhe in Frieden!“, und im Grab daneben lag ein Kind, Ernestine Pölzl, geboren 1943, gestorben 1945, und neben Ernestine Pölzl lagen Tote, deren Namen er nur vom Hörensagen kannte, dann eine Försterswitwe Klamm, die eine Vorliebe für große Hunde hatte (wenn jene stattliche alte Frau, die immer ihre großen Hunde spazierengeführt hatte, wirklich die Witwe des Försters Alois Klamm gewesen ist – wie es sich Mohaupt immer gedacht hatte – und nicht die Witwe des ebenfalls verstorbenen Försters Johann Schober), und dann ein Landwirt Eckert (ein fetter Greis, der oft im Wirtshaus saß, an ihn konnte sich Mohaupt genau erinnern), und dann in einem bereits eingesunkenem Grab unter einem Holzkreuz, dessen Aufschrift kaum zu lesen war, eine Margarethe Viehböck (war das nicht die verrückte alte Magd?), und nach ihr lagen noch viele andere, und dann stand auf einem Block aus rosa Marmor „Helene Moravec (1904–1943)“ und darunter “Liselotte Moravec (1930–1945)“ und darunter „Heinrich Moravec (1902– )“, und alle drei Namen waren von einer einzigen goldenen Blumengirlande umrankt, so dass kein vierter Name mehr in den Stein gemeißelt werden konnte.
    Mohaupt erinnerte sich an den Postbeamten Wallach und an seine Frau, die dann den Heinrich Moravec geheiratet hatte, Liselotte Moravec war offenbar ihre Tochter, ein wildes, weißblondes Kind, Moravec hatte es also adoptiert und gleich seinen eigenen Namen auf den Grabstein unter die Namen seiner Frau und seiner Adoptivtochter gesetzt, vielleicht aus Sparsamkeit, wie es manche Leute taten, vielleicht aus Pietät, denn es gab auch, vorwiegend ältere, Menschen, die ihre Namen schon zu Lebzeiten unter die Namen ihrer verstorbenen Ehemänner oder Ehefrauen auf den Grabstein gravieren ließen, weil sie ihren Erben mißtrauten oder weil sie sich bei jedem Friedhofsbesuch freuten, die Ehegemeinschaft wenigstens durch eine gemeinsame Friedhofsadresse ver längern zu können, vielleicht aber wollte Heinrich Moravec seine Trauer formulieren, indem er durch die Inschrift den Wunsch kundtat, seiner Frau und seiner Adoptivtochter ins Grab zu folgen. Die glatte Stelle des rosa Marmors nach den Ziffern „1902–“ war Provokation und Zeichen der Resignation zugleich. Mohaupt hatte bis dahin nie daran gedacht, wo er begraben sein wolle, im Grab seiner Eltern, oder im Grab seiner Frau, oder in einem eigenen Grab, in dem dann auch der Sarg seiner Frau beigesetzt werden sollte. Diese Gruppenbildung war, dachte er nun, ohne Zweifel ein archaischer Gebrauch, eine geradezu animalische Äußerung von Trieben, die angesichts des Todes ungehemmt gezeigt, ja glorifiziert und sakrifiziert werden können. Vielleicht wollte Heinrich Moravec dadurch, dass er seinen Namen bereits zu Lebzeiten unter die beiden anderen Namen setzen ließ, nicht nur seine Trauer mitteilen, sondern auch seinen Wunsch, mit seiner Frau und seiner Adoptivtochter selbst nach dem Tod noch beisammenzuliegen; vielleicht hatte er mit Hilfe des rosa Marmors eine heftige Begierde verewigen wollen. Mohaupt kannte Moravec nicht näher. Es wäre ihm zuzutrauen, dachte er, seinem Appetit ein Denkmal zu setzen.
    Mohauptging weiter. An der Friedhofsmauer fand er Gräber, die zwar, offenbar auf Veranlassung des Pfarramtes, anständig gepflegt wurden, aber Aufschriften trugen wie „Hier ruht in Gott ein gefallener Soldat der deutschen Wehrmacht“ oder „Einer unbekannten Seele“, oder „Ein wahrer Christ liegt in diesem Grabe, gestorben durch fremde Hand, 1945, Christus erbarme dich unser“. Während Mohaupt vom Friedhof heimwärts ging, dachte er, er hätte auf diese Art über die angebliche Mordtat

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