Theo Boone - Der Überfall: Band 4 (Heyne fliegt) (German Edition)
Himmel, und wir liegen stundenlang auf dem Rücken und lernen die Sternbilder. Mein erstes Verdienstabzeichen habe ich für Astronomie bekommen, weil ich mich mein ganzes Leben lang damit beschäftigt habe.«
Hardie legte eine Pause ein, um wieder zu Atem kommen, und wischte sich ganz langsam eine Träne weg. » Entschuldige, Theo.«
» Das geht schon in Ordnung, Hardie. Ich kann dich verstehen.«
Hardie biss sich auf die Lippe und fuhr fort: » Mein Vater und mein Großvater wollten, dass wir die Natur und das Land achten lernen. Deswegen nehmen sie uns mit auf die Jagd und zum Angeln. Ich habe meinen ersten Hirsch erlegt, als ich acht war. Mein Vater hat mir gezeigt, wie man ihn zerlegt und das Fleisch verarbeitet. Er hat Hirschwurst gemacht und in die Obdachlosenunterkunft gebracht. Wir töten keine Tiere zum Spaß. Wir angeln in den Teichen und im Red Creek, fangen Barsche und Karpfen. Ich wusste schon mit zehn, wie man sie ausnimmt und in einer Pfanne über dem Feuer brät. Das ist unser Land, Theo. Niemand hat das Recht, es uns wegzunehmen.«
Leider doch, dachte Theo, aber das sprach er nicht aus.
» Die Auffahrt zum Haus führt durch ein Zuckerahornwäldchen, und mittendrin liegt ein Friedhof, ein kleines, von einem weißen Lattenzaun umgebenes Stück Land. Dutzende bescheidener Grabsteine, in ordentlichen Reihen. Meine Urgroßeltern, Seite an Seite, neben ihren eigenen Eltern. Tanten und Onkel. Edward Quinn, der im Zweiten Weltkrieg gefallen ist. Bob und Holly Quinn, mein Großonkel und meine Großtante, die 1985, lang vor unserer Geburt, bei einem Autounfall ums Leben gekommen sind. Ein Spaziergang auf diesem Friedhof erzählt die Geschichte meiner Familie. Am Unabhängigkeitstag, dem 4. Juli, gibt es ein großes Festessen, und wir gehen alle zum Friedhof, um Blumen auf die Gräber zu legen und den Toten Ehre zu erweisen. Ein Cousin meines Vaters, Daniel Quinn, ist schon in Rente und hat es übernommen, den Rasen zu mähen und den Friedhof zu pflegen. Was passiert mit den Gräbern, Theo, mit dem Friedhof? Den Teil des Anwesens kann der Staat doch bestimmt nicht beschlagnahmen. Das wäre einfach nicht in Ordnung.«
Theo wand sich ein wenig. » Das kann ich so einfach nicht beantworten, Hardie, am besten rede ich mit meinem Vater, der kennt sich als Immobilienanwalt mit Enteignungen aus, aber ich fürchte, es wird keine befriedigende Antwort geben, zumindest nicht die, die du hören willst. Wenn der Staat das Anwesen enteignet, dann geht es in jeder Hinsicht in sein Eigentum über. Dann rücken die Bagger an und machen alles platt.«
» Was ist mit den Gräbern, Theo?«
» Da muss ich meinen Vater fragen.«
Hardie saß lange Zeit still da und starrte auf den Tisch, während er mit den Gedanken ganz woanders war. » Das Haus ist hundertundfünfzig Jahre alt. Mein Vater hat zwei Schwestern und zwei Brüder, und da er der Älteste ist, bekommt er das Haus, wenn meine Großeltern sterben. Und weil ich ebenfalls das älteste Kind bin, soll das Haus eines Tages an mich gehen. So ist es in unserer Familie Tradition, und so hat es sich viele Jahre lang bewährt. Es ist ein wunderschönes altes Haus, und dort leben zu dürfen, ist eine Ehre, aber man muss sich auch um die Farm kümmern. Und das bedeutet jede Menge Arbeit. Was geschieht mit dem Haus, Theo?«
Theo hatte die Nase voll von diesen schwierigen Fragen, auf die er keine richtige Antwort wusste. » Da muss ich wohl meinen Vater fragen«, sagte er, obwohl er das Schlimmste befürchtete. Aber Hardie war ohnehin schon völlig aufgelöst, und Theo wollte nicht noch eins draufsetzen. Wenn der Staat Land enteignete, konnte er damit machen, was er wollte.
» Meine Eltern haben gestern Abend beim Essen über diese Umgehungsstraße geredet«, fuhr Hardie fort.
» Meine auch.«
» Das Projekt wird von Speditionen vorangetrieben, die im Norden und Süden von Strattenburg sitzen. Wenn ihre Lkws durch die Stadt fahren müssen, stecken sie oft in der Battle Street im Stau. Deshalb erhoffen sie sich von der Umgehungsstraße eine Verkürzung der Fahrzeiten und eine Ankurbelung ihres Geschäfts. Diese Firmen stecken den Politikern, auch dem Gouverneur, Geld zu, damit die gewünschten Beschlüsse gefasst werden, und schon sackt der Staat unsere Farm ein.«
» Ich glaube, meine Mutter würde dir zustimmen. Mein Vater könnte da anderer Meinung sein.«
» Außerdem haben noch die örtlichen Unternehmer ihre Finger im Spiel, die mit der Umgehungsstraße das große
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