Theo Boone - Der Überfall: Band 4 (Heyne fliegt) (German Edition)
Andere, so wie Theo, spielten auf Leihinstrumenten, weil sie nicht sicher waren, ob sie dabeibleiben würden. Theo ging in den Unterricht, weil April ihn überredet hatte und weil seine Mutter gern wollte, dass ihr Sohn ein Instrument lernte.
Warum Cello? Theo hätte es nicht sagen können, er wusste nicht so recht, warum er sich für dieses Instrument entschieden hatte. Falls er die Entscheidung überhaupt selbst getroffen hatte. In einem Streichorchester gibt es mehrere Violinen und Bratschen, einen Kontrabass, mindestens ein Cello und normalerweise ein Klavier. Die Mädchen schienen Violinen und Bratschen zu bevorzugen, und Drake Brown hatte den Kontrabass in Beschlag genommen. Blieb nur noch das Cello. Theo wusste vom ersten Augenblick an, dass er nie ein guter Cellist werden würde.
Theos Kurs war nachträglich in den Lehrplan aufgenommen worden und für Schüler gedacht, die kein Instrument beherrschten. Echte Anfänger, blutige Neulinge, Schüler, die keine großen musikalischen Kenntnisse und noch weniger Talent besaßen. Theo war hier genau richtig, wie auch die meisten anderen. Die Anforderungen waren gering, und der Unterricht beschränkte sich auf eine Stunde pro Woche, die vor allem Spaß machen sollte. Umso besser, wenn die Jugendlichen dabei zumindest ein wenig lernten.
Für den Spaß sorgte der Lehrer, Mr. Sasstrunk, ein drahtiger, kleiner alter Mann mit langem grauem Haar, wild blickenden braunen Augen und verschiedenen nervösen Ticks, der jede Woche in demselben verblichenen braun karierten Sakko erschien. Angeblich hatte er in seiner langen Laufbahn mehrere Orchester geleitet; seit zehn Jahren unterrichtete er am Stratten College Musik. Er hatte viel Sinn für Humor und lachte, wenn den Jugendlichen Fehler unterliefen, was ständig geschah. Seine Aufgabe sei es, so sagte er, sie mit der Musik bekannt zu machen, ihnen » einen kleinen Vorgeschmack zu vermitteln«. Er hatte keine Ambitionen, richtige Musiker aus ihnen zu machen. » Ich bringe euch ein paar Grundlagen bei, Kinder, wir üben ein bisschen, dann sehen wir schon, was passiert«, sagte er jede Woche. Nach vier Stunden hatten die Schüler nicht nur Spaß am Unterricht gefunden, sie setzten sich tatsächlich ernsthaft mit der Musik auseinander.
All das sollte sich von Grund auf ändern.
Mr. Sasstrunk kam zehn Minuten zu spät, und als er das Übungszimmer betrat, wirkte er müde und besorgt. Von seinem üblichen Lächeln keine Spur. Er blickte die Jugendlichen an, als wüsste er nicht, wie er es ihnen beibringen sollte.
» Ich komme gerade von der Direktorin: Sieht so aus, als wäre ich meinen Job los.«
Die zwölf Schüler im Raum wechselten unsichere Blicke.
Mr. Sasstrunk sah aus, als wollte er in Tränen ausbrechen. » Mir wurde erklärt, die städtischen Schulen müssten Einsparungen vornehmen. Offenbar entsprechen die Einnahmen nicht den Erwartungen, daher werden einige der weniger wichtigen Fächer und Kurse mit sofortiger Wirkung gestrichen. Es tut mir leid, Kinder, aber diese Stunde findet nicht mehr statt. Es ist vorbei.«
Den Schülern verschlug es die Sprache. Sie waren traurig, weil ihnen der Unterricht Spaß gemacht hatte, und außerdem tat ihnen Mr. Sasstrunk leid. In einer der vorigen Stunden hatte er scherzhaft erwähnt, mit dem bescheidenen Honorar, das ihm die Schule zahlte, wolle er seine CD -Sammlung mit den Werken der großen Komponisten vervollständigen.
» Das ist nicht fair«, beschwerte sich Drake Brown. » Wieso wird der Kurs überhaupt erst angeboten, wenn dann mittendrin Schluss ist?«
Das wusste Mr. Sasstrunk auch nicht. » Da musst du jemand anderen fragen.«
» Haben Sie denn keinen Vertrag?«, fragte Theo und bereute es sofort wieder. Ob Mr. Sasstrunk einen Vertrag hatte oder nicht, ging Theo nichts an. Allerdings wusste Theo, dass an den städtischen Schulen alle Lehrer einen auf ein Jahr befristeten Vertrag erhielten. Mr. Mount hatte ihnen das im Sozialkundeunterricht erklärt.
Mr. Sasstrunk knurrte etwas und lächelte gequält. » Schon, aber der ist nicht viel wert. Darin steht nur, dass die Schule den Kurs aus gutem Grund jederzeit absagen kann. Eine Standardklausel.«
» Auf so einen Vertrag kann man auch verzichten«, murmelte Theo.
» Allerdings. Tut mir leid, Kinder. Das war’s wohl. Die Arbeit mit euch hat mir großen Spaß gemacht, und ich wünsche euch das Beste. Manche von euch haben Talent, andere nicht, aber, wie gesagt, jeder von euch kann ein Instrument erlernen, wenn er
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