Theo
»Wusch« enden zu lassen. Der Weg dorthin erscheint aber selbst den aktivsten Spielerpersönlichkeiten derzeit noch zu weit.
Sosehr Theo die Förderung der Produktion von sinnlosen Silben auch am Herzen beziehungsweise auf der Zunge liegt – echte Wörter sind noch um Klassen besser. Das Geniale daran ist, dass sich die wichtigsten Dinge des Lebens damit festnageln lassen. Angenommen, jemand sagt: »Ferrari« (um gleich eines der spektakulärsten Beispiele zu nennen), so weiß Theo sofort, was er damit meint. Denn bisher haben immer alle, die »Ferrari« gesagt haben, das Gleiche gemeint.
Hört Theo »Ferrari«, muss er also unwillkürlich an ein Auto denken, und zwar an ein bestimmtes. Und wenner schon einmal daran denkt, dann will er es auch sagen. Also sagt er: »Ferrari.« Und wenn er schon einmal »Ferrari« sagt, dann will er auch »Ferrari« haben. Das ist ja der tiefere Sinn der Sprache. Also fragt er: »Wo ist der Ferrari?« Und dann macht einer, wenn er mitgedacht hat, irgendeine Türe auf. Und da steht er dann, Theos Ferrari.
Doch der letzte Teil der Geschichte ist immer nur ein Spiel. Ja, leider: Der Ferrari spielt da nie mit. Zumindest sieht man ihn nicht. Aber Theo kann sich ihn gut vorstellen. Er öffnet seine Tür, steigt ein und fährt auf und davon. Da er spätestens an dieser Stelle nicht mehr so ganz auf seine Rechnung kommt, wird der Vorgang wiederholt. Hinausgehen. Türe zu. Theo: »Wo ist der Ferrari?« Türe auf. »Da ist der Ferrari.« Theo steigt ein, fährt davon, fühlt sich unbefriedigt. Alles noch einmal: hinausgehen. Türe zu. Theo: »Wo ist der Ferrari?« Türe auf. »Da ist der Ferrari.« Und irgendwann, ja, irgendwann wird er dann wirklich einmal dastehen. Und Theo wird einsteigen und davonfahren. Und die Angehörigen werden in einer Auspuff-Wolke zurückbleiben. Und dann werden sie schauen …
Wir kennen jetzt also schon zwei Gründe, warum Theo die Sprache liebt: Erstens klingt sie gut. Und zweitens weiß dank ihrer der andere sofort, was Theo gerade will. Manchmal muss er die beiden Dinge allerdings erst mühsam und kräfteraubend kombinieren, damit sich die gewünschte Wirkung einstellt. Erinnern Sie sich noch an das grausame Schlüsselwort? – VERBOThieß es. Anders umschrieben: Erwachsene Personen machen sich wichtig, rücken ein gewünschtes Ding nicht heraus und kommen sich noch ungeheuer gut und gerecht dabei vor. Theos Repertoire an optischen Gegenwirkungen haben wir bereits kennengelernt. Doch hin und wieder zählt ein Wort mehr als tausend grimmig fordernde Gesichter.
Zum Beispiel, noch einmal, der Mixer: Wir sind wieder in der Küche, Theo will aus Erdbeeren Matsch herstellen, zeigt auf das lustige Gerät und sagt, so gut er es eben kann: »Mixer!« – Irgendetwas muss er falsch gemacht haben. Denn der im Besitz des Mixers befindliche Pädagoge erwidert: »Ja, Theo, das ist ein Mixer.« Erfreulich, dass auch er das Wort kennt, aber es bringt Theo keinen Millimeter näher ans Gerät.
Theo hat nun aufgrund seiner außergewöhnlich hohen sprachlichen Entwicklung (auf die alle Erwachsenen bei jeder sich bietenden Gelegenheit so nachdrücklich stolz hinweisen, als wäre es ihre eigene – wenigstens sind sie sie ihm offenbar nicht neidig) zwei Möglichkeiten, den bevorstehenden Mixer-Machtkampf für sich zu entscheiden. Entweder er setzt auf den Inhalt oder auf die Kraft seiner Worte.
Begnügt er sich mit dem Inhalt, so wiederholt er zunächst noch ein paarmal: »Mixer!« Dann folgt: »Theo-Mixer!«, um dessen Revier einmal deutlich abzustecken. Zwischendurch versucht er es mit höflicheren Tönen: »Theo will Mixer.« Oder: »Theo will jetzt Mixer!«, falls es Probleme mit der zeitlichen Zuordnungder Forderung gab. Sparsam geht er mit der Verwendung des Wortes »bitte« um, man könnte es ihm als Schwäche auslegen, als wäre er auf die Gnade anderer angewiesen, als müsste er sich das Recht auf den Mixer erst unterwürfig erbetteln. Vielleicht erwähnt er »bitte« einmal beiläufig – ihm selbst tut’s ja nicht weh, und die Alten freuen sich.
Stellt sich nach der höflichen Tour der gewünschte Erfolg aber noch immer nicht ein, so ist mit einer ersten Nervenprobe zu rechnen: »Mixer, Mixer, Mixer, Mixer, Mixer …« Die Wiederholung ist Theos ausgereifteste sprachtechnische Spezialität und sein tauglichstes psychologisches Kampfmittel. Voraussetzung für dessen Wirkkraft ist blendende Kondition. Die bringt Theo mit. Er könnte 24 Stunden hindurch »Mixer«
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