Theo
friedliches Schnaufen über. Es liegt nun am jeweiligen Anrufer selbst, die rauschende Stille zu durchbrechen und das Wort zu ergreifen. Die meisten fragen: »Hallo?« Das ist Theos Stichwort. Darauf hat er sich schon seit dem ersten Klingelsignal gefreut. Denn jetzt sagt er: »Na hallo, hallo, hallo!«
Darauf reagieren die Menschen unterschiedlich. Theo-Unkundigen fällt möglicherweise der Hörer aus der Hand. Denn seine Telefonstimme passt sich dem Umstand an, dass die anrufende Person optisch nicht wahrnehmbar ist, dass sie sich offensichtlich gar nichtim Hause befindet, dass Theo demnach mehr tun muss, als der Person »Na hallo, hallo, hallo!« zuzurufen. Er muss es ihr schon ins Ohr brüllen. (Seine Lippen kleben dabei auf der Telefonmuschel, um den Abstand wenigstens ein bisschen zu verkleinern.) Und wenn Theo einmal brüllt, dann nicht etwa wie ein Löwe, sondern wie ein Löwenbaby auf einem mit dreifacher Geschwindigkeit und maximaler Lautstärke abgespielten Tonband.
Wer mit Theo rechnen durfte, den Hörer weit weg vom Ohr gehalten hat und demnach mit dem Schrecken davongekommen ist, fragt zumeist: »Ja, wer ist denn da?« Oder: »Ist das der Theo?« Unter Umständen wird er an dieser Stelle aus der Leitung geworfen – von Theo höchstpersönlich. Gilt für den Fall, dass diesem der Telefonanruf ungelegen kam, dass er gerade etwas Besseres zu tun hatte und nur einmal kurz »Na hallo, hallo, hallo!« von sich geben wollte.
Ist Theo allerdings in Redelaune und zum Zeitpunkt des Anrufs unverplant, so erwidert er gern: »Ja, wer ist denn da? Wer ist denn da? Ist das der Theo?« Bei blendender Verfassung schließt er noch einmal ein schwungvolles »Na hallo, hallo, hallo!« an. Manchmal fragt er auch unverblümt: »Ich bin der Theo, und wer bist du?« Mitte Mai 1997 verwendete er die Formulierung: »Ich bin der Theo, und mit wem hab’ ich das Vergnügen?« Aber das war eine einstudierte Geschichte, mehr so eine Modeerscheinung, kam nicht von Herzen und wurde deshalb bald vergessen.
Vertraute fragen in der Folge oft: »Theo, wie geht’s dir denn?« Da schwankt er zwischen »Wie geht’s dir denn, wie geht’s dir denn?«, »Guuuut«, »Danke, gut«, »Danke gut, und dir?« und »Na hallo, hallo, hallo!« Er soll aber auch schon »Danke, man darf nicht klagen« und »Danke, man lebt« geantwortet haben. Solche Worte würden jedenfalls vorzüglich zu seiner bevorzugten Körperhaltung beim Telefonieren passen: eine Hüfte herausgedreht, Beine über Kreuz, lockeres Wippen auf den Fußballen, sinnierender Blick in die Tiefe des Raumes, Kopf auf jene Hand gestützt, die den Hörer hält, während der Zeigefinger der freien Hand im geringelten Telefonkabel steckt und dort lässig Kreise dreht.
Nun kommen die Anrufer zumeist zur Sache und fragen: »Theo, kann ich deine(n) Mama (Papa) sprechen?« – Eine gute Frage verdient eine gute Antwort. Deshalb erwidert Theo gerne: »Nein.« Um den Effekt zu steigern, hängt er manchmal auf. Er macht dies nicht in böser Absicht. Er zeigt damit nur, dass das Telefongespräch mit ihm und somit auch für ihn beendet ist. Wer will, kann ja noch einmal anrufen. Wenn dann die Mama hingeht oder der Papa, so ist das deren Sache. Und wenn das mit dem Telefon nicht funktioniert, weil Theo die Verbindung unterbrochen hat und nicht mehr bereit ist, die Leitung freizugeben, kann sich der Anrufer ja auch persönlich herbemühen. Theos Eltern wohnen ja nicht aus der Welt.
Meistens enden die Gespräche für Theo aber schon während des Telefonats. Da nimmt man ihm mittendrinbrutal den Hörer aus der Hand. Da muss er dann leider weinen. Und der jeweilige Superpädagoge, der wieder einmal Fingerspitzengefühl bewiesen hat, straft ihn auch noch mit einem grausamen »Psssst, Theo, ich versteh’ überhaupt nichts!«
Noch viel spannender, als angerufen zu werden, ist selbst anzurufen. Es hat den Vorteil, dass Theo schon von vornherein weiß, mit wem er es gleich zu tun haben wird, und sich deshalb entsprechend vorbereiten kann. Angenommen, Theo ruft Tante Lisi an. So entwickelt sich daraus in etwa folgender Dialog. Tante Lisi hebt ab und sagt: »Hallo?« – Rauschen, Atmen, Schnaufen. Tante Lisi: »Hallo?« – Rauschen, Atmen, Schnaufen. Tante Lisi: »Theo, bist du es?« – Rauschen, Atmen, Schnaufen. Tante Lisi: »Theeeeoooo, huuu huuu?« Theo (ohrenbetäubend): »Tante Lisi?« Tante Lisi: »Ja, hier ist die Tante Lisi.« Theo: »Und hier ist der Theo.« Tante Lisi: »Hallo, Theo!«
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