Theo
würde, zum Beispiel, wo er deren Uhren oder Brillen gerade versteckt hat. Aber kaum strecken diese Leute Theo die Arme entgegen, überkommen ihn Gefühle panikartiger Reserviertheit, er beginnt zu schluchzen und schaut sich verzweifelt nach Fluchtwegen um. Keine Frage: Theo hat Angst, von ihnen getragen zu werden. Allein schon die Vorstellung ist für ihn unerträglich.
Bei den schlechten Trägern, denen es zu entkommen gilt, unterscheidet Theo die weichen von den harten. Die weichen Träger (wollen Sie einen würdigen Vertreter beim Namen genannt wissen? Also gut, ausnahmsweise: Theo nennt ihn »Onkel Dani«) greifen Theo wie eine heiße Kartoffel an. Sie gehen schon mit zittrigen Händen auf ihn zu, können sich nicht entscheiden, wo sie ihn anpacken sollen. (»Anpacken«, um Gottes willen, wie das schon klingt! Wie leicht kann man so ein zartes, kleines Kind verletzen!) Irgendwo zwischen Theos Bauch und Rücken finden die schwitzenden Hände dann Halt. Es folgt eine Light-Version einer Art Hebebewegung. Manchmal rutscht Theo in der Mitte durch, der Träger versucht sich mit einem beiläufigen »Hoppala!« aus der Affäre zu ziehen und wiederholt den Hebevorgang – sofern Theo nicht unter kläglichen »Mama«- oder »Papa«-Rufen bereits die Flucht ergriffen hat.
Ist Theo einmal in der Höhe, kann nicht mehr viel passieren. – Außer, dass seine Beine verdreht sind, dass er nicht weiß, wo er sich anhalten kann, oder dass er in die falsche Richtung schaut (nämlich in die Brusttasche des weichen Trägers). Die letzten Momente des solcherart Getragenwerdens vergehen mit tapferen Versuchen des Trägers, die Trageposition dahingehend zu verbessern, dass sie noch einige Sekunden länger aufrechterhalten werden kann. Theo will sich das dann aber zumeist nicht mehr mitansehen. Er trommelt mit den Fäusten auf den Brustkorb des weichen Trägers(falls sich dieser nicht gerade auf der ihm abgewandten Seite befindet) und will auf der Stelle nach Hause ge…, nein, nur ja nicht getragen, sondern geführt werden. Und zwar in seinem Kinderwagen. Und zwar sofort.
Die harten Träger sind noch eine Spur furchterregender. Wenn Sie mit großen leuchtenden Augen und gefletschten Zähnen Theo die Arme entgegenstrecken, glaubt er, seine letzte Stunde habe geschlagen. Der scheinbar unausweichliche Würgegriff bleibt zwar wie durch ein Wunder aus. Stattdessen krallen sich die gierigen Finger des Besessenen aber tief in Theos Hüften.
Schreien hilft da überhaupt nichts. Harte Träger werten es sogar noch als Ausdruck der Freude auf das bevorstehende In-die-Luft-gewirbelt-Werden. Theo versucht sich in dieser Situation im Sinne der Schadensbegrenzung absolut ruhig zu verhalten (brüllen kann er nachher immer noch). Denn Laute wie »Huuuui!«, »Wuuui!« und »Juuuuui!« stimulieren harte Träger noch zusätzlich und motivieren sie, mit Theo Hebe-, Wurf- und Schaukelorgien zu veranstalten.
Ist Theo einmal hochgehoben, kann ihm nichts Schlimmeres mehr passieren. – Außer, die harten Träger, die seine Beine in eiserner Umklammerung zusammenpressen, haben es nun auch noch auf sein Gesicht abgesehen. Ihre Spezialität sind sogenannte Zwickerbussis. (Schon in der Art, wie sie dieses Wort hervorzischen, kann man die ungeheure Brutalität erahnen.) Dabei nehmen sie Theos Nase mit zwei Knöcheln ihrerFinger in die Schere und rütteln kräftig herum. Das Gleiche machen sie auch ganz gern mit Theos Wange. Da bohren sie irgendwo hinein, ziehen ein Stück hervor und reiben, kneten und quetschen genüsslich daran. Ihr dazugehöriger Schlachtgesang lautet zumeist: »Na du! Na du! Na du!« Manchmal auch: »Na du, du Süßer, du!« – Spätestens jetzt ist es für Theo an der Zeit, ihnen seine offene Hand ins Gesicht zu klatschen, um das dramatische Ende des grausamen Spieles einzuleiten.
Und manchmal bleibt ihm dann einfach gar nichts anderes übrig. Ja, manchmal tut er es. Oh doch. Kinderwagen – außer Sichtweite. Trägerkandidaten – furchterregend. Pädagogen – kompromisslos: »Theo, bitte, komm jetzt endlich, wir wollen doch hier nicht übernachten!« Warum eigentlich nicht?
Wer Theo beim Gehen fotografiert, erhält gestochen scharfe Bilder. Anders formuliert: Wenn Theo geht, dann geht er extrem langsam. Zugegeben, selbst ein um ein »extrem« erweitertes »langsam« ist noch nicht der passende Ausdruck. Wenn man rasch hinschaut, sieht man Theo stehen. Wenn man noch einmal hinschaut, nun schon etwas länger, steht er noch
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