Theo
Er forderte dringend Daten, Zahlen und Fakten.
Der Reihe nach versuchte man ihm nun Folgendes als Italien zu verkaufen: die Luft. (Haha!) Den Boden. (War ganz normal.) Die Landschaft. (»Was ist eine Land-taft?«) Die Bäume. (Aufs Blatt genau so wie in Österreich.) Die Felder. (Für diese Felder fährt keinnormaler Mensch nach Italien.) Die Autos. (Lüge. – Das Auto vor ihnen war auch schon in Österreich vor ihnen. Die Oma musste gestehen, dass es ein deutsches Kennzeichen hatte, und der Opa fügte hinzu, dass es sich um ein französisches Modell handelte. Das Auto war also wirklich alles andere als italienisch.)
»Wo ist Italien?«, fragte Theo abschließend scharf und laut und fünfzehnmal. »Das alles ist Italien«, war der Großeltern letzte Weisheit zu diesem Thema. »Das alles« war Theo um vieles zu wenig. Von da an war Italien für ihn gestrichen. Und er freute sich schon auf Pippi-Ohne oder wie es hieß. Das musste einfach mehr hergeben. Denn dort sollte ja erst der eigentliche Urlaub beginnen.
»Da sind wir«, sagte die Oma. Das Camp hieß Capalonga. Der Opa brauchte ein Bier. »Trink Wasser, das ist gesünder!«, meinte Theo – und hielt die Hand auf. (Schätzungsweise zweitausend Lire von der Oma für jede dieser einstudierten Wortmeldungen.)
Sie standen erschöpft, aber doch glücklich am Ziel ihrer Reise und starrten in das germanische Schildermeer einer typisch adriatischen Wohnmobil-Landschaft. »Das ist unser Campingplatz«, verkündete die Oma feierlich. »Hier werden wir drei Wochen bleiben«, sprach der Opa und stieß den Spaten in den Boden. Und seine Augen waren feucht. (Pollenallergie.)
Theo stellten sich mehrere wichtige Fragen gleichzeitig. Erstens: Wo ist Pippi-Ohne? Zweitens: Wie lange sind drei Wochen? Drittens, und für diese Frage entschieder sich letztendlich, weil sie an die Substanz der Grundbedürfnisse eines zivilisierten Mitteleuropäers ging: »Werden wir da wohnen?« – »Ja, Theo«, sagte die Oma. »Da ist unser Campingplatz, da bleiben wir.« Er hatte sich also nicht verhört.
Nun, aus heutiger Sicht kann gesagt werden: Der Campingurlaub war, nicht zuletzt dank der herausragenden Leistungen der Großeltern auf dem Gebiet der frühkindlichen Animation, eine feine Angelegenheit. Aber er hätte genauso gut im hauseigenen Garten in der Josef-Ressel-Straße stattfinden können, sieht man von einigen wenigen markanten Unterschieden ab. Diese gilt es im Folgenden herauszuarbeiten: Was haben die in Pippi-Ohne, was Theo in Wien-Penzing nicht hatte. Und (vor allem) umgekehrt.
Beginnen wir mit Italien, um dieses leidige Thema dann endgültig abzuschließen. Das Land selbst verhielt sich bis zuletzt unauffällig. Italiener gab es dort keine. »Alles Deutsche«, meinte der Opa. Theo zerkugelte sich und forderte: »Sag’s noch einmal!« – Der Opa tat, wie ihm geheißen: »Alles Deutsche.« – »Noch einmal, noch einmal.« – »Alles Deutsche.« … Das Spiel musste am frühen Nachmittag abgebrochen werden. – Die Deutschen schauten schon böse und begannen sich in kleinen Gruppen zu formieren.
Wo waren wir stehengeblieben? Ach ja, bei Italien. – Die Großeltern bildeten sich zweimal ein, Theo die italienische Sprache beibringen zu müssen (wenn es schon keine Italiener gab, mit denen man sie sprechenkonnte). »Weißt du, was ›Guten Tag‹ auf Italienisch heißt?«, fragte die Oma. »Ja«, sagte Theo. »Na, was heißt es?«, fragte die Oma. – Theo: »Sag’s du!« Oma: »Buongiorno.« Theo lachte. Oma: »Theo, was heißt ›Guten Tag‹ auf Italienisch?« Theo: »Sag’s du!« Oma: »Buongiorno. Und jetzt du!« Theo: »Nein, sag’s du!« Oma: »Buongiorno, buongiorno, buongiorno …«
Gleicher Ort, andere Zeit: »Weißt du, was ›Auf Wiedersehen‹ auf Italienisch heißt?«, fragte der Opa. »Ja«, sagte Theo. »Na, was heißt es?«, fragte der Opa. – Theo: »Sag’s du!« Opa: »Arrivederci.«
Unglaublich! Theo war begeistert. Opa: »Theo, was heißt ›Auf Wiedersehen‹ auf Italienisch?« Theo: »Sag’s du!« Opa: »Arrivederci. Und jetzt du!« Theo: »Nein, sag’s du!« Opa: »Arrivederci, arrivederci, arrivederci …« Und aus dem Wohnwagen drang die unverkennbare Gesangsstimme der Oma: »Arrivederci Roma, da ram da rada rada!« – Theo kam sich erstmals vor wie in Italien.
Wir schreiten zum nächsten und vielleicht markantesten Unterschied zwischen Pippi-Ohne und Wien-Penzing: dem Meer. Theo sah es schon von weitem und fragte: »Ist das unser
Weitere Kostenlose Bücher