Theo
zubrummen aufhören. Er sagte, in die Pedale zu treten und sich gleichzeitig die Seele aus dem Leibe zu brüllen, sei ein bisschen zu viel von ihm verlangt. Aber Theo setzte sich diesmal durch. Am Campingplatz fehlte dem Opa dann die Stimme, um »alles Deutsche« zu sagen. »Jetzt brauch’ ich ein Bier« waren seine letzten Worte. »Trink Wasser, das ist gesünder«, sagte Theo. Und streckte der Oma die Hand entgegen.
Schließlich endete der Urlaub. Telefonisch. Am letzten Tag rief Theo auf Omas Empfehlung bei seinen Eltern an, um sich zurückzumelden. Das war die ideale Gelegenheit, die wichtigsten Ereignisse zusammenzufassen und die Gegenstände und Fahrzeuge beim Namen zu nennen, die aus Italien abgeholt und in die Josef-Ressel-Straße gebracht werden mussten. Wir versuchen nun das Ferngespräch ungekürzt und halbwegs wortgetreu wiederzugeben.
Der Papa: »Hallo?« – Rauschen. »Hallo?« – Rauschen. »Hallo, wer spricht?« – Niemand spricht, aber jemand schnauft. »Theo, bist das du?« – Rauschen. »Theeeeeooooooo!« – Theo (so laut, wie man in Italien schreien muss, um in Österreich gehört zu werden): »Na hallo, hallo, hallo!« – Theo musste Oma vorübergehend den Hörer überreichen, Papas Jubelkundgebungen waren unerträglich.
Papa (als er sich wieder unter Kontrolle hatte): »Theo, mein Schatz, wo bist du?« – Theo: »Bei der Post.« (Klang nach zwölftem Dienstjahr am selben Schalter.)
Papa (stürmisch): »Geht’s dir gut? Ist alles in Ordnung?War der Urlaub schön? Gefällt dir Italien? Gefällt dir Bibione? Hast du viel erlebt? Warst du im Meer schwimmen? Hast du Sandburgen gebaut? …« Theo: »Am Hafen gibt es ein gelbes Boot, das hat ein Lenkrad.« – Papa (mit geheucheltem Interesse): »Ehrlich? Ein gelbes Boot mit Lenkrad gibt es am Hafen? Und das gefällt dir so gut?« – Theo (trocken): »Ja!« Kurze Pause. Theo: »Es gehört mir.«
Papa (lacht): »Ach so, das gelbe Boot gehört also schon dir? Wer hat es dir denn gekauft?« – Theo: »Der Papa.« Die Oma reißt Theo den Hörer aus der Hand und glaubt dem Papa dringend etwas erklären zu müssen. Es fallen unschöne Begriffe wie »war stur«, »hat gebrüllt«, »war unnachgiebig«, »war ihm nicht auszureden«, »haben schon nicht mehr gewusst, was wir tun sollen« und »haben ihn gelassen«.
Theo erobert sich den Hörer zurück und sagt: »Das gelbe Boot gehört mir, der Papa hat’s gekauft.« Papa: »Theo, wenn du wieder daheim bist, kriegst du ein großes gelbes Spielzeugboot, mit dem kannst du den ganzen Tag im Schwimmbecken herumfahren.« Die Leitung ist unterbrochen. Theo hat aufgehängt.
Eine Minute später meldet sich noch einmal die Großmutter und klärt einige Formalitäten. (Möglicherweise geht es um die Frage, wie das gelbe Boot am besten nach Österreich transportiert werden könnte.) Danach erkämpft sich Theo noch ein letztes Mal auf italienischem Boden den Telefonhörer.
Theo: »Papa?« Papa: »Ja, Theo, mein Schatz, willst dumir noch etwas erzählen?« – Theo: »Papa?« Papa: »Ja, Theo, was gibt’s denn noch?« Theo: »Papa?« Papa: »Komm, Theo, sag schon!« – Pause. Theo: »Alles Deut-te.«
Theo und die Kinder
Wir können nicht länger so tun, als gäbe es sie nicht. Theo versucht es zwar immer wieder, aber da spielen sie leider nicht mit. Im Gegenteil: Sie legen es darauf an, unentwegt zu beweisen, wie sehr es sie gibt. Sie haben das Talent, sich (auf Theos Kosten) in den Vordergrund zu spielen. Sie sind aufdringlich, unverschämt, laut und gemein. – Kinder! Musste das sein? War das wirklich notwendig? Gibt es nicht genügend Autos, Tiere, Dinge und andere Menschen auf dieser Welt?
Und wenn schon unbedingt »Kind«: Gibt es nicht ohnehin Theo? Reicht das nicht? Wie idyllisch leer stünden die Spielplätze. In welch blendendem Zustand befänden sich Schaukeln, Rutschen und Kletterbäume. Wie herrlich frisch (und nie mehr wieder süßlich-gelb) wäre das Wasser in den Kinderschwimmbecken. Wie reich wäre Theos Welt an intaktem, unverbrauchtem, speichellosem Spielzeug.
Schluss mit pädagogischer Betulichkeit, bemühter Nachsicht und vorgetäuschter Toleranz. Wir sind bei Theos Frage mit dem härtesten Kern angelangt: Wozu, bitte wozu sind kleine Kinder da? Wozu sind sie gut? Was haben sie, was Theo nicht hat? – Die richtige Antwort: nichts. Sie haben aber offenbar auch sehr wenig von dem, das Theo hat. Sonst würden sie nicht permanent versuchen, ihm die Dinge streitig zu machen
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