Theologisch-Politische Abhandlung: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
Das Recht einer solchen Gesellschaft heisst Demokratie; sie ist also zu definiren als die allgemeine Versammlung der Menschen, welche gemeinschaftlich das höchste Recht auf Alles, was sie kann, besitzt. Daraus folgt, dass die höchste Gewalt durch kein Gesetz gebunden wird, sondern dass Alle ihr in Allem gehorchen müssen. Denn dies mussten Alle entweder stillschweigend oder ausdrücklich ausmachen, als sie alle ihre Macht, sich zu vertheidigen, d.h. all ihr Recht auf sie übertrugen. Wollten sie nämlich sich etwas vorbehalten, so mussten sie gleichzeitig sich dessen versichern, womit sie es vertheidigen könnten; da sie das aber nicht gethan hatten und ohne Theilung der Herrschaft, folglich ohne deren Zerstörung nicht konnten, so haben sie sich dadurch der Willkür der höchsten Gewalt unbedingt unterworfen. Da sie dies, wie gezeigt, unbedingt gethan, und sowohl die Nothwendigkeit sie dazu trieb, wie die Vernunft dazu rieth, so folgt, dass, wenn wir nicht Feinde des Staates sein und gegen die Vernunft, welche den Staat mit allen Kräften zu vertheidigen verlangt, handeln wollen, wir gehalten sind, alle Befehle der höchsten Gewalt unbedingt zu vollstrecken, wenn sie auch noch so thöricht sind; denn die Vernunft verlangt deren Ausführung, damit von zwei Uebeln das kleinste gewählt werde. Es kommt hinzu, dass Jedweder diese Gefahr, sich eines Anderen Gewalt und Herrschaft unbedingt zu unterwerfen, nicht zu scheuen brauchte, da dieses Recht, Alles zu gebieten, was beliebt, der höchsten Gewalt nur so lange zukommt, so lange sie diese Gewalt wirklich hat. Sobald sie sie verloren hat, ist auch das Recht, Alles zu gebieten, verloren und geht auf Den oder Die über, welche es erlangt haben und behalten können. Deshalb kann es nur selten vorkommen, dass die höchste Gewalt etwas ganz Verkehrtes befiehlt; denn sie selbst muss in ihrem Nutzen, und um die Herrschaft zu behalten, für das gemeine Beste sorgen und Alles nach dem Gebot der Vernunft leiten; denn eine gewaltthätige Herrschaft hat, wie Seneca sagt, Niemand lange gehabt. Dazu kommt, dass in dem demokratischen Staate das Verkehrte weniger zu befürchten ist; denn es ist beinahe unmöglich, dass der grössere Theil einer grossen Versammlung in einem Verkehrten übereinstimme, schon wegen ihrer Grundlage und ihres Zweckes, der, wie gezeigt, nur ist, die verkehrten Begierden zu hemmen und die Menschen in den Grenzen der Vernunft so viel als möglich zu erhalten, damit sie einträchtig und friedlich leben; wird diese Grundlage genommen, so stürzt leicht der ganze Bau. Dafür zu sorgen, liegt also nur der höchsten Gewalt ob, und die Unterthanen haben, wie gesagt, nur ihre Gebote zu vollführen und nur das für Recht anzuerkennen, was die höchste Gewalt dafür erklärt.
Indess wird man vielleicht meinen, ich mache damit die Unterthanen zu Sklaven, weil man Den für einen Sklaven hält, der auf Befehl handelt, und Den für einen Freien, der nach seinem Belieben handelt. Allein dies ist nicht unbedingt wahr; denn wer von seinen Lüsten so beherrecht wird, dass er das ihm Nützliche weder sehen noch vollführen kann, ist der grösste Sklave, und nur Der ist frei der mit ganzer Seele nur in Leitung der Vernunft lebt. Das Handeln nach Befehl, d.h. der Gehorsam, hebt zwar die Freiheit etwas auf, aber macht nicht gleich zum Sklaven, sondern dies thut der Grund des Handelns. Ist der Zweck der Handlung nicht der eigene des Handelnden, sondern der Nutzen des Befehlenden, dann ist der Handelnde ein Sklave und sich selbst unnütz; aber im Staate und in einer Herrschaft, wo das Wohl des ganzen Volkes und nicht des Befehlenden das höchste Gesetz ist, ist Der, welcher in Allem der höchsten Gewalt gehorcht, kein Sklave, der für sich nichts Nützliches thäte, sondern ein Unterthan, und deshalb ist derjenige Staat der freieste, dessen Gesetze auf die gesunde Vernunft gegründet sind; denn da kann Jeder überall frei sein, d.h. mit voller Seele nur nach der Leitung der Vernunft leben. Deshalb sind auch die Kinder, obgleich sie allen Befehlen der Eltern gehorchen müssen, doch keine Sklaven; denn die Befehle der Eltern zielen vor Allem auf den Nutzen der Kinder ab. Ich erkenne deshalb einen grossen unterschied zwischen einem Sklaven, Sohn und Unterthan, und man muss sie deshalb dahin definiren, dass Sklave Der ist, welcher den nur auf den Nutzen des Befehlenden abzielenden Geboten desselben gehorchen muss; ein Sohn aber, welcher das ihm Nützliche auf Befehl seiner Eltern
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