Theologisch-Politische Abhandlung: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
anerkennt.
Daher wird das natürliche Recht jedes Menschen nicht durch die gesunde Vernunft, sondern durch die Begierde und die Macht bestimmt; denn nicht Alle sind von Natur bestimmt, nach den Regeln und Gesetzen der Vernunft zu wirken, vielmehr werden sie in Unkenntniss aller Dinge geboren, und ehe sie die wahre Weise des Lebens erkennen und die Gewohnheit der Tugend erwerben können, geht ein grosser Theil ihres Lebens, selbst wenn sie gut erzogen werden, vorüber, und sie müssen doch inmittelst leben und sich, soweit sie vermögen, erhalten; nämlich nach dem Antriebe der blossen Begierden; denn die Natur hat ihnen nur diese gegeben, und die wirkliche Macht, nach der gesunden Vernunft zu leben, verweigert. Deshalb brauchen sie nicht mehr nach dem Gesetze der gesunden Vernunft zu leben, als die Katze nach den Gesetzen der Löwennatur. Was daher Jeder, der nur unter der Herrschaft der Natur aufgefasst wird, als nützlich für sich hält, sei es in Leitung der gesunden Vernunft, sei es im Antriebe seiner Begierden, das begehrt er mit dem höchsten Recht der Natur, und er darf es auf alle Weise, durch Gewalt, List, Bitten, oder wie es sonst am leichtesten möglich, sich zueignen und deshalb Den für einen Feind halten, der ihn in der Ausführung seiner Absicht hindert.
Hieraus folgt, dass das Recht und die Einrichtung der Natur, unter der Alle geboren werden und grösstentheils leben, nur das verbieten, was Niemand begehrt und Niemand vermag; sie verbieten weder den Streit, noch den Hass, noch den Zorn, noch die List, noch überhaupt etwas, was die Begierde verlangt. Es ist dies nicht zu verwundern; denn die Natur befasst nicht blos die Gesetze der menschlichen Vernunft, die nur das wahre Beste und die Erhaltung der Menschen wollen, sondern noch viele andere, welche sich auf die ewige Ordnung der ganzen Natur beziehen, von denen der Mensch nur ein kleiner Theil ist. Aus der blossen Nothwendigkeit dieser wird jedes Einzelne zum Dasein und Wirken in fester Weise bestimmt. Alles, was uns in der Natur lächerlich, verkehrt oder schlecht erscheint, kommt daher nur davon, dass wir die Dinge blos theilweise kennen und die Ordnung und den Zusammenhang der ganzen Natur zum grössten Theil nicht kennen; weil wir Alles unserer Vernunft gemäss geleitet haben wollen, während doch, was unsere Vernunft für ein Uebel erklärt, kein Uebel ist in Bezug auf die Ordnung und die Gesetze der ganzen Natur, sondern nur rücksichtlich der Gesetze unserer Natur allein.
Indess kann Niemand bezweifeln, dass es für die Menschen nützlicher ist, nach den Gesetzen und sicheren Geboten der Vernunft zu leben. Ferner verlangt Jeder sicher und ohne Furcht, soweit es möglich ist, zu leben. Dies ist aber nicht möglich, so lange Jeder nach Belieben Alles thun kann, und die Vernunft nicht mehr Recht hat als der Hass und der Zorn. Denn Jedermann lebt in Sorgen zwischen Feindschaft, Zorn, Hass und Betrug, und sucht sie zu vermeiden, so viel er vermag. Auch wenn man bedenkt, dass die Menschen ohne gegenseitige Hülfe nur elend und ohne die nothwendige Ausbildung der Vernunft leben, wie ich in Kap. 5 gezeigt habe, so erhellt, dass die Menschen, um sicher und möglichst gut zu leben, sich vereinigen müssen und so es bewirken, dass sie gemeinsam das Recht auf Alles haben, was jeder Einzelne von Natur hat, und dass sie nicht mehr durch die Gewalt und die Begierde des Einzelnen, sondern durch die Macht und den Willen Aller bestimmt werden. Dies wäre jedoch vergeblich erstrebt worden, wenn sie nur den Antrieben ihrer Begierden folgen wollten, da nach den Gesetzen dieser Jeder zu Verschiedenem getrieben wird; deshalb mussten sie fest bestimmen und übereinkommen, nur nach dem Ausspruch der Vernunft, dem Niemand bei gesundem Verstande zu widersprechen wagt, Alles zu leiten und die Begierde, soweit sie etwas zum Schaden eines Anderen verlangt, zu zügeln und Niemandem das zu thun, was man will, dass Einem selbst nicht gethan werde, und das Recht des Anderen endlich gleich dem seinen zu vertheidigen.
Wie nun dieser Vertrag zu schliessen ist, damit er gültig und fest sei, ist nun zu untersuchen. Das allgemeine Gesetz der menschlichen Natur ist, dass Niemand das, was er für gut hält, vernachlässigt, ausgenommen in Hoffnung eines grösseren Gutes oder aus Furcht eines grösseren Schadens, und dass Niemand ein Uebel vorzieht, als nur um ein grösseres zu vermeiden, oder in Hoffnung eines grösseren Gutes; d.h. Jeder wird von zwei Gütern
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