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Theologisch-Politische Abhandlung: Erweiterte Ausgabe (German Edition)

Theologisch-Politische Abhandlung: Erweiterte Ausgabe (German Edition)

Titel: Theologisch-Politische Abhandlung: Erweiterte Ausgabe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Baruch de Spinoza
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der Vernunft verletzt?
     
    Indess lasse ich Jene in Ruhe, da ich meiner Aufgabe genügt zu haben glaube, indem ich gezeigt, wie die Philosophie von der Theologie zu sondern ist, worin eine jede im Wesentlichen besteht, und dass keine der anderen dient, sondern dass jede ihr Reich ohne Widerstreben der anderen inne hat, und indem ich auch, wo es passte, die Verkehrtheiten, Nachtheile und Schäden dargelegt, welche aus der wunderbaren Vermengung beider Vermögen, welche man nicht genau von einander zu sondern und zu scheiden verstand, hervorgegangen sind.
     
    Ehe ich weiter gehe, will ich in Betreff der Nützlichkeit und Nothwendigkeit der heiligen Schrift oder Offenbarung ausdrücklich erinnern (obgleich ich es schon gesagt habe), dass ich sie sehr hochstelle. Denn da man mit dem natürlichen Licht nicht erkennen kann, dass der einfache Gehorsam der Weg zum Heil ist, sondern nur die Offenbarung lehrt, dass dies aus besonderer Gnade Gottes geschehe, die man durch die Vernunft nicht erreichen kann, so folgt, dass die Bibel den Sterblichen einen grossen Trost gebracht hat. Denn Alle können unbedingt gehorchen, aber nur Wenige im Vergleich zu dem ganzen menschlichen Geschlecht erwerben die Gewohnheit der Tugend durch blosse Führung der Vernunft; hätten wir daher dieses Zeugniss der Schrift nicht, so müssten wir an dem Heile beinahe Aller zweifeln.
     
     

Sechzehntes Kapitel
 
    Ueber die Grundlagen des Staates; über das natürliche und bürgerliche Recht eines Jeden und über das Recht der höchsten Staatsgewalt.
     
    Bisher habe ich die Philosophie von der Theologie zu sondern und die Freiheit, zu philosophiren, darzulegen gesucht, welche die Theologie Jedem zugesteht. Es ist deshalb Zeit, zu untersuchen, wie weit in einem guten Staate diese Freiheit, zu denken, und was man denkt, zu sagen, geht um dies ordentlich zu thun, muss ich über die Grundlagen des Staates handeln und vorher über das natürliche Recht eines Jeden, ohne noch auf den Staat und die Religion Rücksicht zu nehmen.
     
    Unter Recht und Einrichtung der Natur verstehe ich nur die Regeln der Natur jedes Einzelnen, vermöge deren Jedes natürlich bestimmt ist, in bestimmter Weise da zu sein und zu wirken. So sind z.B. die Fische von Natur bestimmt, zu schwimmen, und dass die grossen Fische die kleinen verzehren. Deshalb bemächtigen sich die Fische mit dem höchsten natürlichen Recht des Wassers, und deshalb verzehren die grossen die kleinen. Denn sicher hat die Natur, an sich betrachtet, das höchste Recht zu Allem, was sie vermag, d.h. das Recht der Natur geht so weit wie ihre Macht; denn die Macht der Natur ist die Macht Gottes selbst, der das höchste Recht zu Allem hat. Weil nun die gesammte Macht der ganzen Natur nur die Summe der Macht aller Einzelnen ist, so folgt, dass jeder Einzelne das höchste Recht auf Alles hat, was er vermag, oder dass das Recht eines Jeden sich soweit ausdehnt als seine besondere Macht sich erstreckt. Und weil es das höchste Gesetz der Natur ist, dass jedes Ding in seinem Zustande, so viel es vermag, zu beharren sucht, und zwar nur seinetwegen und nicht eines anderen wegen, so folgt, dass jeder Einzelne das höchste Recht dazu hat, d.h. (wie gesagt) zum Dasein und Wirken so, wie er natürlich bestimmt ist.
     
    Auch erkenne ich hier keinen Unterschied zwischen den Menschen und den anderen Geschöpfen der Natur an, und auch nicht zwischen den vernünftigen Menschen und anderen, welche die wahre Vernunft nicht kennen; auch nicht zwischen den Blödsinnigen, Wahnsinnigen und Gesunden. Denn was jedes Ding nach den Gesetzen seiner Natur thut, das thut es mit dem höchsten Recht, da es handelt, wie es von Natur bestimmt ist und nicht anders kann. Deshalb lebt unter Menschen, so lange sie blos unter der Herrschaft der Natur befindlich aufgefasst werden, sowohl Der, welcher die Vernunft noch nicht kennt oder die Gewohnheit der Tugend noch nicht hat, nur nach den Gesetzen seiner Begierden mit demselben höchsten Recht wie Der, der sein Leben nach den Gesetzen der Vernunft einrichtet. Das heisst; So wie der Weise das höchste Recht zu Allem hat, was die Vernunft gebietet, oder nach den Gesetzen der Vernunft zu leben, so hat der Unwissende und Unverständige das höchste Recht zu Allem, was die Begierde verlangt, oder nach den Gesetzen seiner Begierden zu leben. Und das ist dasselbe, was Paulus sagt, der vor dem Gesetze, d.h. so lange die Menschen unter der Herrschaft der Natur lebend aufgefasst werden, keine Sünde

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