Theologisch-Politische Abhandlung: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
das nach seiner Meinung grössere, und von zwei Uebeln das nach seiner Meinung kleinere wählen. Ich sage ausdrücklich, dass er das nach seiner Meinung grössere oder kleinere wählt, aber nicht, dass die Sache sich wirklich so verhält, wie er meint. Und dieses Gesetz ist so fest der menschlichen Natur eingeprägt, dass es zu den ewigen Wahrheiten gerechnet werden muss, die Jedermann weiss. Es folgt daraus, dass Niemand, ohne betrogen zu sein, versprechen wird, sich seines Rechtes auf Alles zu entäussern, und dass Niemand sein Versprechen unbedingt halten wird, als nur in Furcht eines grösseren Uebels oder in Hoffnung eines grössern Gutes, um dies besser darzulegen, setze man, ein Räuber zwingt mich zu dem Versprechen, ihm meine Güter, wo er will, zu geben. Wenn nun schon, wie gezeigt, mein natürliches Recht nur nach meiner Macht sich bestimmt, so ist sicher, dass, wenn ich durch List mich von diesem Räuber befreien kann, indem ich ihm das, was er verlangt, verspreche, es mir nach dem Naturrecht zu thun erlaubt ist, nämlich betrügerisch ihm, was er Will, zu versprechen. Oder man nehme, ich hätte Jemand ohne Betrug versprochen, zwanzig Tage lang keine Speise und Nahrung zu mir zu nehmen, und ich hätte nachher eingesehen, dass ich dies thörichter Weise versprochen, und ich es ohne den grössten Schaden nicht halten könne, so darf ich, da ich nach dem Naturrecht von zwei Uebeln das kleinere zu erwählen gehalten bin, mit vollem Rechte einen solchen Vertrag brechen und das Gesagte als nicht gesagt behandeln. Dies, sage ich, ist nach dem Naturrecht erlaubt, mag ich es als wahr und richtig erkennen, dass ich falsch versprochen habe, oder mag es mir nur in meiner Meinung so scheinen. Denn mag es mir wahrhaft oder fälschlich so scheinen, so werde ich doch immer das grössere Uebel fürchten und es nach der Einrichtung der Natur auf jede Weise zu vermeiden suchen. Deshalb kann kein Vertrag Kraft haben als nur durch seinen Nutzen; fällt dieser weg, so fällt auch der Vertrag, welcher dann als ungültig aufgehoben wird. Es ist deshalb thöricht, dass man die Treue von einem Anderen in Ewigkeit für sich verlangt, wenn man nicht gleichzeitig sorgt, dass aus dem Bruch des Vertrages für den Vertragsbrecher mehr Schaden als Vortheil hervorgeht, was bei Einrichtung eines Staates hauptsächlich seine Stelle findet.
Wenn alle Menschen sich leicht durch die Vernunft allein leiten liessen und den hohen Nutzen und die Nothwendigkeit des Staates einsähen, so würde Jeder die List verabscheuen, und Alle würden in dem Verlangen nach diesem höchsten Gut, d.h. der Erhaltung des Staates, mit der höchsten Treue an den Verträgen halten und die Treue, als den höchsten Schatz des Staates, über Alles halten. Allein es fehlt viel daran, dass Alle sich leicht durch die blosse Vernunft leiten liessen; Jeder wird vielmehr von seinen Lüsten beherrscht, und seine Seele wird von Geiz, Ehrsucht, Neid, Zorn u.s.w. oft so eingenommen, dass kein Platz für die Vernunft bleibt; wenn deshalb die Menschen auch mit dem sicheren Zeichen einer ehrlichen Absicht versprechen und übereinkommen, sich die Treue zu bewahren, so kann doch Niemand dieser Treue des Anderen sicher sein, wenn nicht zu dem Versprechen noch etwas hinzukommt, da Jeder nach dem Naturrecht betrügerisch handeln und von dem Vertrage abgehen kann, wenn er nicht damit ein grosses Gut erhofft oder ein grosses Uebel vermeidet. Da ich aber schon gezeigt habe, dass das natürliche Recht eines Jeden so weit geht als seine Macht, so folgt, dass, so viel als Jeder von seiner Macht auf den Anderen gezwungen oder freiwillig überträgt, so viel tritt er ihm auch von seinem Rechte ab. Danach hat Derjenige das höchste Recht über Alle, welcher die höchste Macht hat, Alle zu zwingen und durch Furcht vor hohen Strafen, die Alle allgemein fürchten, zu bewältigen. Dieses Recht wird er nur so lange behalten, als er diese Macht, Alles, was er will, auszuführen, behält; ohnedem wird er nur bittweise befehlen, und Niemand wird weiter, als er Lust hat, ihm gehorchen.
In dieser Weise kann ohne allen Widerstreit des natürlichen Rechtes eine Gesellschaft sich bilden und jeder Vertrag immer treulich gehalten werden; wenn nämlich Jeder alle seine Macht auf die Gesellschaft überträgt, die damit das höchste natürliche Recht auf Alles, d.h. die höchste Herrschaft allein behalten wird, und Jeder wird aus freiem Willen oder aus Furcht vor harter Strafe zu gehorchen gehalten sein.
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