Theologisch-Politische Abhandlung: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
sondern auch rücksichtlich der Freiheit, in der Alle geboren werden. Wären die Menschen von Natur dem göttlichen Recht unterworfen, oder wäre das göttliche Recht von Natur Recht, so war es überflüssig, dass Gott mit den Menschen einen Vertrag einging und durch Vertrag und Eid sie verpflichtete. Deshalb hat offenbar das göttliche Recht erst von da ab begonnen, wo die Menschen in einem ausdrücklichen Vertrage Gott Gehorsam in allen Dingen versprochen, womit sie ihre natürliche Freiheit gleichsam aufgaben und ihr Recht auf Gott übertrugen, wie dies nach dem Obigen auch in dem bürgerlichen Zustande geschieht. Indess werde ich später hierüber ausführlicher handeln.
Man kann indess erwidern, dass die Staatsgewalten ebenso wie die Unterthanen dem göttlichen Recht untergeben seien, während ich gesagt, dass jene ihr natürliches Recht behalten und ihnen Alles erlaubt sei. Um diese Schwierigkeit ganz zu beseitigen, welche nicht aus dem natürlichen Zustand, sondern aus dem natürlichen Recht entspringt, sage ich, dass im natürlichen Zustande Jeder durch das geoffenbarte Recht in derselben Weise zu leben verbunden ist, wie er es durch das Gebot der Vernunft ist, nämlich deshalb, weil es nützlich und zum Heile nothwendig ist; will er dies nicht, so kann er es auf seine Gefahr. Er ist also blos gehalten, nach seinem Willen, nicht aber nach dem eines Anderen zu leben, und er braucht keinen Sterblichen als seinen Richter noch als Rächer nach dem Recht der Religion anzuerkennen. Dieses Recht hat die höchste Staatsgewalt behalten, welche zwar für die Menschen sorgen kann, aber keinen Richter und keinen Sterblichen ausser sich als Vertheidiger des Rechts anzuerkennen braucht, mit Ausnahme des Propheten, wenn er von Gott ausdrücklich abgesandt worden ist und dies durch zweifellose Zeichen bestätigt hat. Aber auch dann hat die Staatsgewalt keinen Menschen, sondern nur Gott als Richter anzuerkennen. Wollte sie Gott in seinem offenbarten Rechte nicht gehorchen, so stände ihr dies auf ihre Gefahr und Schaden frei; weder das bürgerliche noch das natürliche Recht hindert sie daran; denn jenes hängt nur von ihr selbst ab, und dieses hängt von den Gesetzen der Natur ab, welche nicht der Religion, die nur den Nutzen der Menschen bezweckt, sondern der Ordnung der ganzen Natur, dem ewigen, uns unbekannten Rathschluss Gottes angepasst sind. Dies scheinen Einzelne, wenn auch dunkel, eingesehen zu haben, die annehmen, dass der Mensch zwar gegen den geoffenbarten Willen Gottes, aber nicht gegen seinen ewigen Rathschluss, mit dem er Alles vorausbestimmt hat, sündigen könne.
Fragt man aber, ob, wenn die Staatsgewalt etwas befiehlt, was gegen die Religion und gegen den Gott durch einen ausdrücklichen Vertrag versprochenen Gehorsam geht, wem man da gehorchen soll, ob dem göttlichen oder dem menschlichen Gebot, so sage ich, da ich darüber bald ausführlicher handeln werde, hier nur kurz, dass man Gott vor Allem gehorchen müsse, wenn man eine gewisse und zuverlässige Offenbarung hat. Allein in Betreff der Religion pflegen die Menschen am meisten zu irren und nach Unterschied ihrer Einsicht in grossem Streit Vieles zu erdichten, wie die Erfahrung hinreichend lehrt. Deshalb würde offenbar, wenn Niemand der Staatsgewalt in dem, was er selbst zur Religion rechnet, zu gehorchen brauchte, das Recht des Staates lediglich von den verschiedenen Einsichten und Leidenschaften der Einzelnen abhängen. Niemand wäre daran gebunden, wenn es nach seiner Ansicht gegen seinen Glauben oder Aberglauben liefe, und so könnte unter diesem Vorwand Jeder sich Alles erlauben. Da also damit das Recht des Staats ganz zerstört wird, so folgt, dass die Staatsgewalt, der allein obliegt, die Rechte des Staates zu bewahren und zu schützen, sowohl nach göttlichem wie nach natürlichem Recht auch das oberste Recht hat, über die Religion zu bestimmen, was sie für gut hält, und dass Alle ihren hierüber ergehenden Befehlen und Beschlüssen vermöge des gegebenen Versprechens, was Gott zu halten gebietet, zu gehorchen verpflichtet sind.
Sind die Inhaber der Staatsgewalt Heiden, so muss man mit ihnen keinen Vertrag abschliessen, sondern lieber das Aeusserste erleiden, als sein Recht auf sie übertragen; oder ist man übereingekommen, und hat man sein Recht auf sie übertragen, so muss man ihnen auch gehorchen und die Treue halten, oder den Zwang dazu anerkennen, da man sich damit auch des Rechts, die Religion zu vertheigen, verlustig
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