Theologisch-Politische Abhandlung: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
höchsten Gewalt nicht kennt, wird sich auf die Worte und Versprechen Dessen verlassen, der die höchste Macht und das Recht, Alles zu thun, inne hat, und für den das Wohl und der Nutzen des Staates das höchste Gesetz sein soll. Nimmt man dabei auf Frömmigkeit und Religion Rücksicht, so sieht man überdem, dass kein Inhaber der Staatsgewalt zum Schaden des Staates das Versprechen halten darf, ohne ein Verbrechen zu begehen. Denn Alles, was er versprochen hat, was aber zum Schaden seines Staates ausschlägt, das kann er nur leisten, indem er sein Wort den Unterthanen nicht hält, was er doch vor Allem schuldig ist, und das zu halten am heiligsten versprochen wird. - Ein Feind ist, wer ausserhalb des Staates so lebt, dass er denselben weder als Verbündeter noch als Unterthan anerkennt. Denn den Feind macht nicht der Hass gegen den Staat, sondern das Recht, und zwar das Recht des Staates gegen Den, welcher dessen Herrschaft aus keiner Art von Vertrag anerkennt, ebenso wie gegen Den, der einen Schaden ihm zugefügt hat; er kann ihn auf alle Weise zur Unterwerfung oder zur Verbündung rechtlich nöthigen. - Das Verbrechen der beleidigten Majestät hat endlich nur bei den Unterthanen oder Bürgern Statt, welche durch stillschweigenden oder ausdrücklichen Vertrug ihr ganzes Recht auf den Staat übertragen haben; ein Unterthan hat dieses Verbrechen begangen, wenn er versucht hat, der Staatsgewalt auf irgend eine Weise sich zu bemächtigen oder sie auf einen Anderen zu übertragen. Ich sage: »versucht hat«; denn sollte die Verurtheilung erst nach vollendetem Verbrechen zulässig sein, so würde nach Annahme des neuen Rechts oder dessen Uebertragung auf einen Anderen der Staat dies meist zu spät unternehmen. Ich sage ferner unbedingt: »wer auf eine Art die Staatsgewalt zu ergreifen versucht«, indem ich keinen Unterschied mache, ob Schaden oder Nützen für den Staat daraus, wenn auch noch so deutlich, daraus folgt. Denn aus welchem Grunde es auch versucht wird, so bleibt die Majestätsbeleidigung, und die Verurtheilung geschieht mit Recht, was vor Allem bei dem Kriege anerkannt wird. Wenn z.B. Jemand nicht auf seinem Posten bleibt, sondern ohne Vorwissen des Feldherrn zum Feinde geht, wenn er auch in guter Absicht, aber für sich die Sache begonnen und den Feind geschlagen hat, so ist er doch mit Recht des Todes schuldig, weil er das Recht des Feldherrn und seinen eigenen Schwur verletzt hat. Dass alle Bürger für immer und unbedingt so verpflichtet sind, wird zwar nicht ebenso deutlich eingesehen, aber der Grund ist ganz derselbe. Denn wenn der Staat nur nach dem Willen der Staatsgewalt erhalten und geleitet werden soll, und wenn man unbedingt ausgemacht hat, dass ihm dies Recht zustehen soll, so verletzt Jeder, der nach seinem Ermessen und ohne Vorwissen der höchsten Gewalt ein öffentliches Geschäft auszuführen unternimmt, wenn auch ein Nutzen für den Staat daraus sich ergiebt, doch das Recht der höchsten Gewalt und ihre Majestät und wird deshalb mit Recht verurtheilt.
Ich bin, um alle Zweifel zu beseitigen, noch eine Antwort auf die Frage schuldig, ob meine obige Behauptung, dass Jeder, dem der Gebrauch der Vernunft fehlt, in natürlichem Zustande nach den Regeln seiner Begierden mit vollem Rechte der Natur lebe, nicht offen mit dem offenbarten göttlichen Recht in Widerspruch steht? Denn da Alle, mögen sie Vernunft haben oder nicht, gleich unbedingt nach dem göttlichen Gebot gehalten sind, ihren Nächsten wie sich selbst zu lieben, so kann man nicht ohne Unrecht einem Anderen Schaden zufügen und blos nach den Regeln seiner Begierden leben. Indess kann auf diesen Einwand leicht geantwortet werden, wenn man nur auf den natürlichen Zustand achtet; denn dieser ist der Natur und der Zeit nach früher als die Religion. Denn Niemand weiss von Natur, dass er Gott zum Gehorsam verpflichtet sei, und Jeder kann nicht durch die Vernunft, sondern nur durch eine mit Zeichen bestätigte Offenbarung dies wissen. Deshalb ist Niemand vor der Offenbarung durch das göttliche Recht gebunden, das er ja nicht kennen kann. Daher darf der natürliche Zustand nicht mit dem der Religion verwechselt werden, und er muss als einer ohne Religion und Gesetz und folglich auch ohne Sünde und Unrecht aufgefasst werden, wie ich schon gethan und durch das Ansehn des Paulus bekräftigt habe. Der natürliche Zustand ist nicht blos rücksichtlich der Unkenntniss von dem geoffenbarten göttlichen Recht und ohne solches aufzufassen,
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