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Theologisch-Politische Abhandlung: Erweiterte Ausgabe (German Edition)

Theologisch-Politische Abhandlung: Erweiterte Ausgabe (German Edition)

Titel: Theologisch-Politische Abhandlung: Erweiterte Ausgabe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Baruch de Spinoza
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Armuth leichter zu ertragen sein als hier, wo die Liebe zu dem Nächsten, d.h. gegen seine Mitbürger mit der höchsten Frömmigkeit geübt wurde, um die Gnade Gottes, ihres Königs, zu erlangen.
     
    So konnte den jüdischen Bürgern nur in ihrem Staate wohl sein, und der Aufenthalt ausser demselben war ihnen der grösste Schaden und Schande. Zu ihrer Anhänglichkeit an das Vaterland und zur Beseitigung der Bürgerkriege und Streitigkeiten trug auch wesentlich bei, dass Niemand Jemand Seinesgleichen, sondern nur Gott diente, und dass die Milde und Liebe zu seinem Mitbürger als die höchste Frömmigkeit galt, welche durch den gegenseitigen Hass zwischen Juden und dem übrigen Völkern erheblich gesteigert wurde.
     
    Ferner half die strenge Zucht des Gehorsams, in der sie erzogen wurden; denn sie mussten Alles nach bestimmten gesetzlichen Vorschriften thun. Man durfte nicht nach Belieben pflügen, sondern nur zu bestimmten Zeiten und Jahren und nur mit einer Art Vieh zugleich. Auch das Säen und Ernten war nur auf eine bestimmte Art und zu bestimmter Zeit gestattet, und ihr ganzes Leben war eine fortwährende Hebung des Gehorsams. (Man sehe Kap. 5 in Betreff des Nutzens der Gebräuche.) In Folge dieser Gewöhnung galt ihnen selbst dieser Zwang nur als Freiheit, und deshalb verlangte Jeder nach Geboten, nicht nach deren Aufhebung.
     
    Ebenso half es, dass sie zu bestimmten Jahreszeiten sich der Müsse und Lust zu überlassen schuldig waren; nicht damit sie ihrer Lust, sondern damit sie Gott mit Lust gehorchten. Dreimal im Jahre waren sie Gäste Gottes (Deut. XVI.); am siebenten Tage der Woche ruhten sie von jeder Arbeit und mussten sich der Müsse ergeben, und daneben waren noch andere Zeiten bestimmt, in denen anständige Lustbarkeiten und Gastmahle nicht blos erlaubt, sondern geboten waren. Es giebt nichts Wirksameres als dies für die Gewinnung der Herzen der Menschen; denn nichts fesselt die Seele so als die Fröhlichkeit, welche zugleich aus der Andacht, d.h. aus Liebe und Bewunderung vereint entspringt. Auch konnten sie dessen durch Gewohnheit nicht leicht überdrüssig werden; denn der Gottesdienst an den Festen war selten und dabei mannichfach. Dazu kam die grosse Verehrung des Tempels, an der sie wegen der besonderen Gebräuche und der vor dem Eintritt zu beobachtenden Handlungen auf das Gewissenhafteste festhielten, so dass sie noch heilte mit Schaudern jene Unthat des Manasse lesen, welcher die Errichtung eines Götzenbildes selbst in dem Tempel gestattet hatte. Auch für die Gebräuche, welche im Innersten Heiligthum gewissenhaft beobachtet wurden, war die Eifersucht des Volkes nicht geringer, und man brauchte deshalb das Gerede und die Vorurtheile desselben nicht zu fürchten. Niemand wagte über göttliche Dinge ein Urtheil zu fällen, sondern Allem, was ihnen auf das Ansehn einer göttlichen, im Tempel empfangenen Antwort oder eines von Gott erlassenen Gesetzes geboten wurde, hatten sie ohne alles Befragen der Vernunft zu gehorchen.
     
    Damit glaube ich die wesentlichen Verhältnisse dieses Staates zwar kurz, aber doch deutlich klar gemacht zu haben. Ich habe nun noch die Ursachen zu untersuchen, weshalb die Juden so oft von dem Gesetze abgefallen sind, weshalb sie so oft unterjocht worden sind, und weshalb ihr Staat zuletzt ganz zerstört werden konnte. Vielleicht sagt man, dies sei wegen des Volkes Ungehorsam geschehen; allein solche Antwort ist kindisch; denn weshalb war dieses Volk ungehorsamer als die übrigen? etwa von Natur? Allein die Natur erzeugt keine Völker, sondern nur Einzelne, welche erst durch Sprache, Gesetze und Sitten zu besonderen Völkern werden. Nur aus diesen beiden letzten, aus den Gesetzen und Sitten, können die besonderen geistigen Anlagen, die besonderen Zustände und die besonderen Vorurtheile hervorgehen. Wenn also auch wirklich die Juden ungehorsamer wie andere Sterbliche gewesen wären, so traf dies ihre fehlerhaften Gesetze und Sitten. Allerdings hätte Gott, wenn er ihren Staat hätte dauerhafter machen wollen, ihnen auch andere Rechte und Gesetze und eine andere Verwaltung derselben geben müssen. Man kann deshalb nur sagen, dass Gott ihnen schon gezürnt habe, nicht blos, wie Jeremias XXVII. 31 sagt, von der Erbauung der Stadt ab, sondern schon von dem Erlass der Gesetze ab. Dieses bezeugt auch Ezechiel XX. 25 mit den Worten: »Denn ich gab ihnen keine guten Einrichtungen und keine Rechte, nach denen sie leben konnten, und ich habe sie verunreinigt mit ihren

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