Theologisch-Politische Abhandlung: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
sondern sie mussten ihn auch wie einen Feind, der den Vertrag gebrochen, bekriegen. Die Bibel giebt dazu die Beispiele; denn als Josua gestorben war, so haben die Kinder Israels, aber nicht der neue Feldherr, Gott befragt, und als sie erfuhren, dass der Stamm Juda von Allen zuerst seinen Feind angreifen solle, verbündete dieser Stamm sich mit Simeon, gemeinsam die Feinde Beider anzugreifen. Die übrigen Stämme waren in diesen Vertrag nicht mit einbegriffen (Richter I. 2, 3), sondern Jeder führte den Krieg gegen seinen Feind besonders (wie in dem vorgehenden Kapitel erzählt wird), und Jeder nahm die, welche er wollte, in seine Gewalt und zur Uebergabe an, obgleich es geboten war, Niemand unter irgend einer Bedingung zu schonen, sondern Alle zu vertilgen. Wegen dieser Sünde werden sie zwar getadelt, aber von Niemand vor Gericht gefordert; auch fingen sie deshalb keinen Krieg gegen einander an, und Keiner mischte sich deshalb in die Angelegenheiten des Anderen. Im Gegentheil überfielen sie die Benjamiten, welche die Anderen beleidigt und das Friedensband so gelöst hatten, dass Niemand von den verbündeten Stämmen bei ihnen einen sicheren Aufenthalt hatte. In drei Schlachten wurden sie besiegt, und dann nach Kriegsrecht die Schuldigen sammt den unschuldigen getödtet, was sie nachher in zu später Reue beklagten.
Diese Beispiele bestätigen, was ich über das Recht der einzelnen Stämme gesagt habe. Man wird nun fragen, wer den Nachfolger des Vornehmsten des Stammes wählte? Allein hierüber ergiebt die Bibel nichts Zuverlässiges; ich vermuthe aber, dass, da jeder Stamm in Geschlechter getheilt war, deren Häupter aus den Aeltesten der Familie gewählt wurden, der Aelteste von diesen dem Fürsten nachfolgte. Denn Moses erwählte aus den Aeltesten einen Rath von Siebzig, welche mit ihm den hohen Rath bildeten, und welche nach Josua's Tode das Reich verwalteten. Sie heissen in der Bibel die Aeltesten, und bei den Juden werden gewöhnlich unter den Aeltesten die Richter verstanden, was Allen bekannt sein wird. Es kommt indess für mich wenig darauf an; es genügt, dass ich gezeigt, wie nach Mosis Tode Niemand das Amt eines obersten Herrschers gehabt hat. Denn da Alles nicht von dem Beschlusse Eines oder eines Rathes oder des Volkes abhing, sondern Einzelnes von diesem Stamm, Anderes von einem anderen mit gleichen Rechten besorgt wurde, so folgt, dass die Staatsform nach Mosis Tode weder monarchisch noch aristokratisch noch demokratisch geblieben ist, sondern theokratisch, 1) weil das königliche Haus des Reichs der Tempel war, und nur dadurch, wie ich gezeigt, alle Stämme Glieder eines Staats, 2) weil alle Bürger Gott als ihrem obersten Richter Treue schwören mussten; ihm allein sollten sie in Allem unbedingt gehorchen; 3) endlich, weil der höchste Feldherr, wo ein solcher nöthig war, nur von Gott allein erwählt wurde. Was Moses im Namen Gottes dem Volke ausdrücklich voraussagt (Deuter. XIX. 15), bezeugt sachlich die Wahl Gideon's, Samson's und Samuel's. Unzweifelhaft sind deshalb auch die anderen gläubigen Führer ebenso gewählt worden, wenn die Geschichte es auch von ihnen nicht erwähnt.
Nach Feststellung dessen habe ich nun zu prüfen, wie weit diese Verfassung die Gemüther mässigen und sowohl die Herrscher wie die Regierten so in Ordnung halten konnte, dass Jene keine Tyrannen und Diese keine Rebellen wurden.
Die Verwalter oder Inhaber der Herrschaft suchen für Alles, was sie thun, immer den Schein Rechtens zu gewinnen und das Volk von der Rechtmässigkeit desselben zu überreden; sie vermögen dies leicht, da die Auslegung des Rechts nur ihnen zusteht. Dadurch erhalten sie die grösste Freiheit zu Allem, was sie wollen und ihre Begierde verlangt; umgekehrt verlieren sie diese Freiheit, wenn das Recht der Gesetzeserklärung bei einem Anderen ist, und wenn zugleich die wahre Erklärung desselben so einleuchtend für Alle ist, dass Niemand sie bezweifeln kann. Deshalb war den Fürsten der Juden ein grosser Anlass zu Unthaten dadurch entzogen, dass das Recht der Gesetzesauslegung den Leviten allein gegeben worden war (Deut. XXI. 5), welche an der Verwaltung nicht Theil hatten und kein Land besassen, und deren ganze Ehre und Glück von der wahren Auslegung der Gesetze bedingt war. Ferner sollte das ganze Volk alle sieben Jahre an einem bestimmten Ort sich versammeln, damit es von dem Hohenpriester in den Gesetzen unterrichtet werde, und ausserdem sollte Jeder mit steter grosser
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