Theologisch-Politische Abhandlung: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
Staates gethan wird, und diese kann nicht erhalten bleiben, wenn Jeder nach seinem Belieben leben kann; deshalb ist es auch gottlos, nach seiner Ansicht etwas gegen die Beschlüsse der Staatsgewalt, welcher er untergeben ist, zu thun; denn wäre dies Jedem erlaubt, so folgte daraus nothwendig der Untergang des Staates. Vielmehr kann er nicht gegen den Willen und das Gebot der eignen Vernunft handeln, so lange er nach den Geboten der Staatsgewalt handelt; denn er hat in Anlass seiner eignen Vernunft beschlossen, sein Recht, nach seinem eigenen Willen zu leben, auf sie zu übertragen.
Dies kann ich auch nun durch die Praxis bestätigen. So geschieht selten in den Versammlungen der höchsten und der niederen Staatsgewalten etwas in Folge der einstimmigen Meinung aller Mitglieder und doch nach dem gemeinsamen Beschlusse Aller, sowohl Derer, die dafür, wie Derer, die dagegen gestimmt haben.
Ich kehre jedoch zu meiner Aufgabe zurück; wir haben aus der Grundlage des Staates entnommen, wie Jeder sich seiner Freiheit des Urtheils unbeschadet des Rechts der Staatsgewalt bedienen kann. Daraus kann man ebenso leicht bestimmen, welche Meinungen in einem Staate als aufrührerisch gelten können; nämlich nur die, welche mit ihrer Aufstellung den Vertrag beseitigen, wodurch Jeder sich des Rechts, nach eigenem Belieben zu handeln, begeben hat. Behauptet z.B. Jemand, die Staatsgewalt sei nicht selbstständig, oder Niemand brauche seine Verträge zu halten, oder Jeder müsse nach seinem Belieben leben können, und Aehnliches der Art, welches dem erwähnten Vertrag geradezu widerspricht, so ist er ein Aufrührer nicht sowohl wegen dieses Urtheils und Meinung, sondern wegen der That, welche solche Urtheile enthalten, nämlich weil er schon dadurch, dass er solche Gedanken hat, die der Staatsgewalt stillschweigend oder ausdrücklich versprochene Treue bricht. Dagegen sind andere Meinungen, welche keine That, d.h. keinen Vertragsbruch, keine Rache und keinen Zorn einschliessen, nicht aufrührerisch; höchstens nur in einem Staate, der irgendwo verdorben ist, wo nämlich die Abergläubischen und Ehrgeizigen, welche die Freien nicht ertragen können, einen solchen Ruf erlangt haben, dass ihr Ansehn bei der Menge mehr als das der Staatsgewalt gilt. Ich bestreite jedoch nicht, dass es noch einzelne Ansichten giebt, die, obgleich sie sich anscheinend nur auf das Wahre oder Unwahre beziehen, doch mit Unrecht aufgestellt oder verbreitet werden. Im Kap. 15 habe ich auch dies angegeben, aber so, dass die Vernunft dabei doch frei blieb.
Bedenkt man endlich, dass die Treue gegen den Staat und gegen Gott nur aus den Werken erkannt werden kann, nämlich aus der Liebe zu dem Nächsten, so kann unzweifelhaft ein guter Staat Jedem dieselbe Freiheit des Philosophirens wie des Glaubens bewilligen. Allerdings können daraus einzelne Unannehmlichkeiten entstehen; allein wo gab es je eine so weise Einrichtung, dass kein Nachtheil daraus entstehen konnte? Wer Alles durch Gesetze regeln will, wird die Fehler eher hervorrufen als verbessern. Was man nicht hindern kann, muss man zugestehen, selbst wenn daraus oft Schaden entsteht. Denn wie viel Uebel entspringen nicht aus der Schwelgerei, dem Neid, dem Geiz, der Trunkenheit und Aehnlichem? Allein man erträgt sie, weil man sie durch die Macht der Gesetze nicht hindern kann, obgleich es wirklich Fehler sind; deshalb kann um so viel mehr die Freiheit des Urtheils zugestanden werden, die in Wahrheit eine Tugend ist und nicht unterdrückt werden kann.
Dazu kommt, dass alle aus ihr entstehenden Nachtheile durch das Ansehn der Obrigkeit, wie ich gleich zeigen werde, vermieden werden können; wobei ich nicht erwähnen mag, dass diese Freiheit zur Beförderung der Wissenschaften und Künste unentbehrlich ist; sie können nur von denen mit glücklichem Erfolge gepflegt werden, welche ein freies und nicht voreingenommenes Urtheil haben.
Aber man setze, dass diese Freiheit unterdrückt und die Menschen so geknebelt werden können, dass sie nur nach Vorschrift der höchsten Staatsgewalt einen Laut von sich geben, so wird es doch nie geschehen, dass sie auch nur das denken, was diese will, und folglich würden die Menschen täglich anders reden, wie sie denken, die Treue, welche dem Staate so nöthig ist, würde untergraben; eine abscheuliche Schmeichelei und Untreue würde dann gehegt, und damit der Betrug und der Verderb aller guten Künste. Allein daran ist nicht zu denken, dass Alle so sprechen,
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