Theologisch-Politische Abhandlung: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
Staatsgewalt sich nach ihrer Macht bestimmt.
Wenn also Niemand sich seiner Freiheit des Denkens und Urtheilens begeben kann, sondern nach dem Naturrecht der Herr seiner Gedanken ist, so folgt, dass in dem Staate es nur ein unglücklicher Versuch bleibt, wenn er die Menschen zwingen will, dass sie nur nach der Vorschrift der Staatsgewalt sprechen sollen, obgleich sie, verschiedener Ansicht sind, denn selbst die Klügsten, ganz abgesehen von der Menge, können nicht schweigen. Es ist dies ein gemeinsamer Fehler der Menschen, dass sie Anderen ihre Gedanken selbst da mittheilen, wo Schweigen nöthig wäre; deshalb wird diejenige Herrschaft die gewaltthätigste sein, wo dem Einzelnen die Freiheit, seine Gedanken auszusprechen und zu lehren, versagt ist, und jene ist eine gemässigte, wo Jeder diese Freiheit besitzt. Allein unzweifelhaft kann die Majestät ebenso durch Worte wie durch die That verletzt werden, und wenn es auch unmöglich ist, diese Freiheit den Unterthanen ganz zu nehmen, so würde es doch höchst schädlich sein, sie ihnen unbeschränkt einzuräumen; ich habe deshalb hier zu untersuchen, wie weit diese Freiheit unbeschadet des Friedens des Staates und des Rechtes der höchsten Staatsgewalt dem Einzelnen eingeräumt werden kann und soll, eine Untersuchung, die wesentlich meine Aufgabe bildet, wie ich im Beginn des 16. Kapitels bemerkt habe.
Aus den oben dargelegten Grundlagen des Staates folgt deutlich, dass sein Zweck nicht ist, zu herrschen, die Menschen in der Furcht zu erhalten und fremder Gewalt zu unterwerfen, sondern vielmehr den Einzelnen von der Furcht zu befreien, damit er so sicher als möglich lebe, d.h. so, dass er sein natürliches Recht zum Dasein ohne seinen und Anderer Schaden am besten sich erhalte. Ich sage, es ist nicht der Zweck des Staates, die Menschen aus vernünftigen Wesen zu wilden Thieren oder Automaten zu machen; sondern ihre Seele und ihr Körper soll in Sicherheit seine Verrichtungen vollziehen, sie sollen frei ihre Vernunft gebrauchen und weder mit Hass, Zorn oder List einander bekämpfen, noch in Unbilligkeit gegen einander verfahren. Der Zweck des Staates ist also die Freiheit.
Ferner ergab sich, dass die Bildung des Staates erforderte, dass die Macht, über Alles zu beschliessen, bei Allen oder Einigen oder bei Einem sei. Denn das Urtheil der Menschen ist verschieden; ein Jeder meint Alles zu verstehen, und es ist unmöglich, dass Alle desselben Sinnes sind und übereinstimmend sprechen; deshalb war ein friedliches Leben nur möglich, wenn Jeder sich des Rechtes, nach seinem eigenen Gutfinden zu handeln, begab. Aber wenn dies geschah, so begab er sich doch nicht des Rechtes, zu denken und zu urtheilen; deshalb kann Niemand ohne Verletzung des Rechtes der Staatsgewalt gegen ihren Beschluss handeln , wohl aber denken, urtheilen und folglich auch sprechen, sobald es nur einfach gesagt oder gelehrt wird, und nur mit Vernunftgründen, aber nicht mit List, Zorn, Hass oder der Absicht, etwas in dem Staat durch das Ansehn seines eigenen Willens einzuführen, geschieht. Wenn z.B. Jemand von einem Gesetze zeigt, dass es der gesunden Vernunft widerspreche, und deshalb dessen Abschaffung fordert, so macht er sich als guter Bürger um den Staat verdient, sofern er nur seine Ansicht dem Urtheil der Staatsgewalt unterwirft, die allein die Gesetze zu geben und aufzuheben hat, und wenn er einstweilen nichts gegen das Gebot dieses Gesetzes thut. Geschieht es aber, um die Obrigkeit der Ungerechtigkeit zu beschuldigen und bei dem Volke verhasst zu machen, oder will er das Gesetz gegen den Willen der Obrigkeit mit Gewalt beseitigen, so ist er ein Unruhestifter und Aufrührer.
Damit ergiebt sich, wie ein Jeder, unbeschadet des Rechts und der Macht der Staatsgewalt, d.h. unbeschadet des Friedens des Staates, seine Gedanken äussern und lehren kann; nämlich wenn er den Beschluss über die Ausführung ihr überlässt und nichts dagegen thut, sollte er auch dabei oft gegen das, was er klar für gut erkannt und hält, handeln müssen. Dies kann unbeschadet der Gerechtigkeit und Frömmigkeit geschehen und soll geschehen, wenn er sich als ein gerechter und frommer Mann erweisen will. Denn die Gerechtigkeit hängt, wie ich früher dargelegt, nur von dem Beschluss der Staatsgewalt ab; deshalb kann nur Der, wer nach ihren Geboten lebt, gerecht sein. Die Frömmigkeit ist aber, wie ich in dem vorgehenden Kapitel gezeigt, die Summe Alles dessen, was für den Frieden und die Ruhe des
Weitere Kostenlose Bücher