Theologisch-Politische Abhandlung: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
wie es vorgeschrieben ist; vielmehr werden die Menschen, je mehr ihnen die Freiheit zu sprechen entzogen wird, desto hartnäckiger darauf bestehen, und zwar nicht die Geizigen, die Schmeichler und andere geistigen Schwächlinge, deren höchstes Glück blos darin besteht, dass sie das Geld im Kasten zählen und den Bauch voll haben, sondern Die, welche eine gute Erziehung, ein rechtlicher Charakter und die Tugend der Freiheit zugewendet hat. Die Menschen können ihrer Natur nach nichts weniger ertragen, als dass Meinungen, die sie für wahr halten, als Verbrechen gelten sollen, und dass ihnen als Unrecht das angerechnet werden solle, was sie zur Frömmigkeit gegen Gott und die Menschen bewegt. Dann kommt es, dass sie die Gesetze verwünschen und gegen die Obrigkeit sich vergehen und es nicht für schlecht, sondern für recht halten, wenn sie deshalb in Aufruhr sich erheben und jede böse That versuchen. Ist die menschliche Natur so beschaffen, so treffen die Gesetze gegen Meinungen nicht die Schlechten, sondern die Freisinnigen; sie halten nicht die Böswilligen im Zaum, sondern erbittern nur die Ehrlichen, und sie können nur mit grosser Gefahr für den Staat aufrecht erhalten werden. Auch sind solche Gesetze überhaupt ohne Nutzen; denn wer die von den Gesetzen verbotenen Ansichten für wahr hält, kann dem Gesetz nicht gehorchen, und wer sie für falsch hält, nimmt die sie verbietenden Gesetze wie ein Vorrecht und pocht so darauf, dass die Obrigkeit sie später, selbst wenn sie will, nicht wieder aufheben kann. Dazu kommt das oben in Kap. 18 aus der jüdischen Geschichte unter No. 2 Abgeleitete. Wie viel Spaltungen sind endlich daraus in der Kirche entstanden? Welche Streitigkeiten der Gelehrten hat nicht die Obrigkeit durch Gesetze beenden wollen? Hofften die Menschen nicht, Gesetz und Obrigkeit auf ihre Seite zu ziehen, über ihre Gegner unter dem Beifall der Menge zu triumphiren und Ehre zu gewinnen, so würden sie nie mit so ungerechtem Eifer streiten, und keine solche Wuth würde ihr Gemüth ergreifen.
Dies lehrt nicht blos die Vernunft, sondern auch die Erfahrung in täglichen Beispielen. Solche Gesetze, welche Jedem vorschreiben, was er glauben soll, und umgekehrt, gegen diese oder jene Ansicht etwas zu sagen oder zu schreiben verbieten, sind oft gemacht worden, um dem Zorn Derer zu fröhnen oder vielmehr nachzugeben, die keinen freien Sinn ertragen können und durch Missbrauch ihrer Amtsgewalt die Ansicht der aufrührerischen Menge leicht in Wuth verwandeln und gegen beliebige Personen aufhetzen können. Aber wäre es nicht heilsamer, den Zorn und der Wuth der Menge Einhalt zu thun, als unnütze Gesetze zu geben? Gesetze, die nur von Denen verletzt werden können, welche die Tugend und die Künste lieben und den Staat so in Verlegenheit bringen, dass er freie Männer nicht mehr ertragen kann? Welches grössere Uebel giebt es für einen Staat, als dass rechtliche Männer, welche anders denken und sich nicht verstellen können, wie Verbrecher in die Verbannung geschickt werden? Was ist verderblicher, als Menschen nicht wegen eines Verbrechens oder einer Unthat, sondern wegen ihres freien Sinnes für Feinde zu halten und zum Tode zu führen, so dass die Richtstätte, der Schrecken der Schlechten, sich in das schönste Theater verwandelt, wo ein Beispiel höchster Duldung und Tugend zur Schande der Majestät des Staates dargeboten wird. Denn die sich als ehrliche Leute kennen, fürchten den Tod nicht, wie Verbrecher, und bitten nicht um Gnade. Ihr Gemüth ist nicht durch die Reue über eine schlechte That beängstigt, und sie halten es für recht und ruhmvoll und nicht für ein Verbrechen, wenn sie für die gute Sache und die Freiheit sterben. Welches Beispiel soll also mit dem Tode Solcher gegeben werden, deren Sache die Trägen und Schwachen nicht verstehen, die Aufrührerischen hassen und die Ehrlichen lieben? Es kann nur ein Beispiel zur Nachahmung oder mindestens zur Bewunderung daraus entnommen werden.
Damit also nicht die blosse Zustimmung, sondern die Treue geschützt bleibe, und die Staatsgewalt den Staat in gutem Stand erhalte und nicht genöthigt sei, den Aufrührern nachzugeben, muss die Freiheit des Urtheils zugestanden, und die Menschen müssen so regiert werden, dass sie trotzdem, dass sie unverhohlen verschiedener und entgegengesetzter Ansicht sind, doch friedlich mit einander leben. Unzweifelhaft ist dies die beste und mit den wenigsten Nachtheilen verknüpfte Art der Regierung, denn
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