Theologisch-Politische Abhandlung: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
Völker übertroffen haben, oder dass, wie die Bibel in ihrer Weise sagt, die Juden nicht vor den Anderen zum wahren Leben und erhabenen Wissenschaften ausgewählt worden, obgleich sie oft dazu ermahnt worden sind, sondern zu einem ganz andern Zwecke. Welcher dies gewesen, werde ich hier der Ordnung nach darlegen.
Ehe ich indess hiermit beginne, will ich mit Wenigem erklären, was ich unter der Regierung Gottes, unter dem äusseren und innerlichen Beistand Gottes, unter der Auserwählung Gottes und endlich unter Schicksal im Folgenden verstehe.
Unter Gottes Regierung verstehe ich die feste und unveränderliche Ordnung der Natur, oder die Verkettung der natürlichen Dinge; denn ich habe schon oben gesagt und an einem andern Orte gezeigt, dass die allgemeinen Naturgesetze, nach denen Alles geschieht und sich bestimmt, nur die ewigen Beschlüsse Gottes sind, welche immer die ewige Wahrheit und Nothwendigkeit einschliessen. Es ist daher dasselbe, ob ich sage, Alles geschieht nach den Gesetzen der Natur, oder Alles ordnet sich nach dem Beschluss und der Leitung Gottes. Ferner ist die Macht aller natürlichen Dinge nur die Macht Gottes, durch die allein Alles geschieht und bestimmt wird; daraus folgt, dass Alles, was der Mensch, der ja selbst nur ein Theil der Natur ist, zu seiner Unterstützung und Erhaltung thut, oder Alles, was die Natur ohne sein Zuthun ihm bietet, ihm Alles nur von der göttlichen Macht zukommt; sei es, dass sie durch die Natur des Menschen oder durch die Dinge ausserhalb des Menschen wirkt. Man kann deshalb mit Recht Alles, was die menschliche Natur nach ihrer Macht zu ihrer Erhaltung vermag, die innere Hülfe Gottes, und Alles, was sonst aus der Macht äusserer Ursachen ihm Nützliches zufällt, die äussere Hülfe Gottes nennen. Hieraus ergiebt sich auch, was unter der Erwählung Gottes zu verstehen ist. Denn da Jedermann nur handelt, wie es die vorherbestimmte Ordnung der Natur mit sich bringt, d.h. nach Gottes ewigem Rathschluss und Leitung, so folgt, dass Jedermann sich nur die Lebensweise wählen und das bewirken kann, wozu Gott ihn besonders beruft, und wie er ihn vor Anderen zu diesem Werke und zu dieser Lebensweise ausgewählt hat. Endlich verstehe ich unter Schicksal nur die Regierung Gottes, soweit sie durch äussere und unerwartete Ursachen die menschlichen Angelegenheiten bestimmt. Dies vorausgeschickt, kehre ich zu meiner Aufgabe zurück und untersuche, weshalb das jüdische Volk das von Gott erwählte genannt worden ist. Dies wird sich folgendermassen zeigen lassen:
Alles, was man rechtlicher Weise begehrt, bezieht sich wesentlich auf Dreierlei; 1) die Dinge aus ihren obersten Ursachen zu erkennen, 2) die Leidenschaften zu bändigen oder die Tugend sich zur Gewohnheit zu machen, und 3) sicher und gesund zu leben. Die Mittel für die beiden ersten Ziele, die als die nächsten und wirksamsten Ursachen gelten können, bietet die menschliche Natur selbst; ihr Erwerb hängt deshalb wesentlich nur von unserer Macht oder nur von den Gesetzen der menschlichen Natur ab, und deshalb müssen diese Güter nicht als die besonderen eines Volkes, sondern als die gemeinsamen des menschlichen Geschlechts angesehen werden; man müsste denn sich einbilden, dass die Natur ehedem verschiedene Gattungen von Menschen hervorgebracht habe. Dagegen beruhen die Mittel für ein sicheres Leben und die Bewahrung der Gesundheit vorzugsweise auf äusseren Dingen, und man nennt sie deshalb Gaben des Glücks, da sie hauptsächlich von dem uns unbekannten Gange der äusseren Ursachen abhängen, und ein Dummer daher hierin ebenso viel Glück oder Unglück wie ein Kluger haben kann. Dennoch vermag die menschliche Fürsorge und Wachsamkeit viel für die Schonung des Lebens und für den Schutz gegen den Schaden von anderen Menschen und Thieren. Kein besseres Mittel lehrt in dieser Beziehung die Vernunft und die Erfahrung, als eine Gesellschaft mit festen Gesetzen zu bilden, einen bestimmten Landstrich einzunehmen und alle Kraft für die Gesellschaft, gleich wie für einen Körper, zu verwenden. Denn zur Bildung und Erhaltung solcher Gesellschaft gehört keine geringe Klugheit und Wachsamkeit; deshalb wird eine solche Gesellschaft sicherer, beständiger und den Unfällen des Schicksals weniger ausgesetzt sein, wenn sie vorzüglich von klugen und wachsamen Männern gegründet und regiert wird, während eine, die nur aus ungebildeten Menschen besteht, grösstentheils vom Glück abhängt und weniger Bestand hat.
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