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Theologisch-Politische Abhandlung: Erweiterte Ausgabe (German Edition)

Theologisch-Politische Abhandlung: Erweiterte Ausgabe (German Edition)

Titel: Theologisch-Politische Abhandlung: Erweiterte Ausgabe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Baruch de Spinoza
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Dauert sie doch länger, so dankt sie dies nicht ihrer, sondern fremder Leitung, und wenn sie grosse Gefahren überwindet, und ihre Angelegenheiten gut gehen, so muss sie Gottes Regierung bewundern und anbeten, insofern dann Gott durch verborgene äussere Ursachen, und nicht insofern er durch die Natur der Seele der Menschen wirkt; denn dann begegnet ihr etwas ganz Unerwartetes gegen die Regel, was in Wahrheit als ein Wunder gelten kann.
     
    Die Völker unterscheiden sich daher nur durch die Art ihrer Verbindung und Gesetze, unter denen sie leben und regiert werden, und das jüdische Volk ist deshalb nicht wegen seiner Einsicht oder Seelenruhe vor Anderen von Gott auserwählt worden, sondern wegen seiner Verfassung und des Glückes, dass es eine Herrschaft gewonnen und viele Jahre behalten hat. Die Bibel selbst ergiebt dies auf das Deutlichste. Schon ein leichtes Durchgehen derselben zeigt, dass die Juden die anderen Völker nur darin übertrafen, dass sie die zur Sicherheit des Lebens nöthigen Dinge glücklich vollbracht, grosse Gefahren überstanden haben und dies hauptsächlich dem äusseren Beistande Gottes verdankten, während im Uebrigen sie den Anderen gleich waren, und Gott Allen gleich gnädig und gewogen war.
     
    Was nämlich den Verstand anlangt, so erhellt nach dem in dem vorigen Kapitel Dargelegten, dass sie über Gott und die Natur nur sehr gewöhnliche Begriffe gehabt haben; deshalb waren sie rücksichtlich des Verstandes von Gott nicht bevorzugt und ebenso wenig rücksichtlich der Tagend und des wahren Lebens; denn auch darin standen sie den übrigen Völkern gleich, und nur sehr Wenige waren auserlesen. Deshalb bestand deren Erwählung und Berufung nur in dem zeitlichen Glück der Herrschaft und der Vortheile, und ich wüsste nicht, dass Gott den Erzvätern und ihren Nachfolgern etwas Weiteres verheissen hätte; vielmehr werden ihnen selbst in Mosis Gesetz für ihren Gehorsam nur die glückliche Fortdauer ihrer Herrschaft und die sonstigen Genüsse des Lebens verheissen, und dagegen der Untergang des Reiches und die schwersten Uebel angedroht, wenn sie ungehorsam werden und das Uebereinkommen brechen sollten. Das ist auch nichts Wunderbares; denn der ganze Zweck der Gemeinschaft und des Staates ist, wie das Obige ergiebt und später ausführlicher gezeigt werden wird, die Sicherheit und Bequemlichkeit des Lebens; ein Staat kann aber nur mit Gesetzen bestehen, denen Jeder unterworfen ist; und wollten alle Glieder einer Gemeinschaft den Gesetzen Lebewohl sagen, so würden sie damit die Gemeinschaft auflösen und den Staat zerstören.
     
    Gott konnte also der Gemeinschaft der Juden für ihre treue Beobachtung der Gesetze nur ein sicheres und bequemes Leben verheissen, und umgekehrt konnte er ihnen als Strafe ihres Ungehorsams nur den Untergang des Reichs und die daraus folgenden Uebel neben denen voraussagen, die sie aus dem Untergange ihres besondern Staats noch besonders treffen würden, worüber ich hier nicht ausführlicher zu sprechen brauche. Nur das Eine bemerke ich, dass die Gesetze des Alten Testaments blos den Juden offenbart und gegeben worden sind; denn da Gott sie zur Begründung einer besondern Gemeinschaft und Staates sich auserwählt, so mussten sie nothwendig auch besondere Gesetze haben; ob aber Gott auch andern Völkern besondere Gesetze gegeben und deren Gesetzgebern sich prophetisch offenbart habe, nämlich unter den Eigenschaften, unter denen sie sich Gott vorzustellen pflegten, dies kann ich nicht sicher behaupten. Indess erhellt aus der Bibel, dass auch andere Völker durch Gottes äussere Leitung ein besonderes Reich mit besondern Gesetzen gehabt haben, und ich kann dafür zwei Stellen aus derselben beibringen. In Gen. XIV. 18, 19, 20 wird erzählt, dass Melchisedek, König von Jerusalem, ein Hoherpriester Gottes gewesen, und dass er den Abraham gesegnet habe, wie dies der Hohepriester konnte (Num. VI. 23), und endlich, dass Abraham, der Liebling Gottes, den zehnten Theil der Beute dem Hohenpriester Gottes gegeben habe. Dies Alles zeigt, dass Gott, schon ehe er das Israelitische Volk vereinigte, Könige und Hohepriester in Jerusalem eingesetzt hat und ihnen Gebräuche und Gesetze gegeben hat; nur steht es nicht fest, ob es, wie gesagt, prophetisch geschehen ist; doch bin ich wenigstens überzeugt, dass Abraham während seines dortigen Aufenthalts nach diesen Gesetzen gelebt hat, denn Abraham erhielt keine besondern Gebräuche von Gott vorgeschrieben, und doch heisst es Gen.

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