Theologisch-Politische Abhandlung: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
geben kann, so bestreite ich doch nicht, dass das Lesen derselben für das bürgerliche Leben sehr nützlich ist. Denn je besser man die Sitten und Zustände der Menschen beobachtet und kennt, was am besten aus ihren Handlungen geschehen kann, desto vorsichtiger kann man unter denselben leben und seine Handlungen und sein Leben besser nach ihrem Sinn, soweit es die Vernunft gestattet, einrichten. Es ergiebt sich ferner, 3) dass dieses natürliche göttliche Gesetz keine Gebräuche, d.h. keine Handlungen verlangt, die an sich gleichgültig sind und blos durch die Einrichtung für gut gelten, oder die ein zum Heile nöthiges Gut vorstellen oder, wenn man lieber will, Handlungen, deren Grund die menschliche Fassungskraft übersteigt. Denn das natürliche Licht verlangt nichts, was dieses Licht nicht betrifft, sondern nur, was uns deutlich anzeigt, dass es gut oder ein Mittel für unsre Seligkeit ist. Alles aber, was blos auf Anordnung und Einrichtung gut ist, oder weil es etwas Gutes symbolisch darstellt, kann unsre Einsicht nicht vermehren, ist nur ein leerer Schatten und kann nicht zu den Handlungen gerechnet werden, die das Erzeugniss und die Frucht der Einsicht und des gesunden Geistes sind, wie ich nicht weiter auseinander zu setzen brauche; 4) endlich ergiebt sich, dass der höchste Lohn des göttlichen Gesetzes die Erkenntniss des Gesetzes, d.h. Gottes ist und die Liebe zu ihm aus wahrer Freiheit und von ganzem und beharrlichem Gemüthe. Die Strafe ist dagegen die Beraubung dessen und die Knechtschaft des Fleisches, oder ein unbeständiger und schwankender Sinn.
Nach diesem bleibt noch zu ermitteln: 1) ob man nach natürlichem Licht Gott sich als Gesetzgeber oder einen den Menschen Gesetze vorschreibenden Fürsten vorstellen könne; 2) was die Bibel über dieses natürliche Licht und Gesetz lehre; 3) zu welchem Zweck ehedem die Gebräuche eingeführt worden sind, und 4) was die Kenntniss und der Glaube an die heilige Geschichte bedeutet. Heber die beiden ersten Fragen soll in diesem Kapitel, über die beiden andern in dem folgenden gehandelt werden.
Die Antwort auf die erste Frage ergiebt sich leicht aus der Natur des Willens Gottes, der sich von der Einsicht Gottes nur in der Auffassung durch unsere Vernunft unterscheidet; d.h. Gottes Wille und Einsicht sind in Wahrheit ein und dasselbe; sie werden nur in unseren Gedanken zweierlei, welche wir über die Einsicht Gottes bilden. Geben wir z.B. nur darauf Acht, dass die Natur des Dreiecks in der göttlichen Natur von Ewigkeit her als eine ewige Wahrheit enthalten ist, dann sagen wir, dass Gott den Begriff des Dreiecks habe oder die Natur des Dreiecks erkenne; aber geben wir dann darauf Acht, dass die Natur des Dreiecks in dieser Weise nur aus der Nothwendigkeit der göttlichen Natur darin enthalten ist und nicht aus der Nothwendigkeit des Wesens und der Natur des Dreiecks, vielmehr, dass die Nothwendigkeit des Wesens und der Eigenschaften des Dreiecks, als ewige Wahrheiten aufgefasst, blos von der Nothwendigkeit der göttlichen Natur und Einsicht abhängen, so nennen wir dann dies Gottes Willen oder Rathschluss, was wir vorher Gottes Einsicht genannt haben. Deshalb bejahen wir in Bezug auf Gott ein und dasselbe, wenn wir sagen, dass Gott von Ewigkeit beschlossen und gewollt habe, dass die drei Winkel des Dreiecks zweien rechten gleich seien, oder dass Gott dies eingesehen habe. Deshalb enthalten die Bejahungen und Verneinungen Gottes immer eine ewige Wahrheit oder Nothwendigkeit.
Wenn daher Gott z.B. dem Adam gesagt hat, er wolle nicht, dass Adam von dem Baume der Erkenntniss des Guten und Bösen esse, so enthält es einen Widerspruch, wenn Adam doch von diesem Baume essen gekonnt hätte, und es war deshalb dies unmöglich; denn jener göttliche Befehl musste eine ewige Nothwendigkeit und Wahrheit enthalten. Wenn daher die Bibel doch erzählt, dass Gott es dem Adam verboten, dieser aber doch davon gegessen habe, so erhellt nothwendig, dass Gott dem Adam nur ein Uebel offenbart hat, was aus dem Essen von diesem Baume nothwendig folgen würde, aber nicht, dass dieses Uebel nothwendig eintreten müsse. Deshalb ist es gekommen, dass Adam diese Offenbarung nicht als eine ewige und nothwendige Wahrheit auffasste, sondern wie ein Verbot, d.h. als eine Bestimmung, welche einem Vortheil oder einem Nachtheil folgen lässt, nicht aus der Nothwendigkeit und Natur der Handlung des Erzvaters, sondern nach dem Belieben und blossen Befehl eines Fürsten. Deshalb war
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