Theologisch-Politische Abhandlung: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
friedlichem und beharrlichem Geiste; nicht wie die Gottlosen, deren Gemüth in entgegengesetzten Leidenschaften wogt, und die deshalb (wie auch Esaias sagt LVII. 20) weder Frieden noch Ruhe haben. Am wichtigsten aber ist aus diesen Sprüchen Salomonis die Stelle in dem zweiten Kapitel, welche meine Ansicht auf das Klarste bestätigt. Denn er beginnt da v. 3: »Denn wenn Du die Klugheit angerufen haben wirst und Deine Stimme der Einsicht gegeben haben wirst u.s.w., dann wirst Du die Furcht Gottes verstehn und die Weisheit Gottes (oder vielmehr die Liebe, denn das Wort › Jadaa ‹ bezeichnet Beides) finden, denn (man merke wohl) Gott giebt die Weisheit; aus seinem Munde (fliesst) die Wissenschaft und die Klugheit.« Mit diesen Worten sagt er auf das Deutlichste, dass die blosse Weisheit oder Einsicht uns lehrt, Gott weise zu fürchten, d.h. in wahrer Religion zu verehren. Ferner sagt er, dass die Weisheit und Wissenschaft aus Gottes Munde fliesst, dass Gott sie verleiht, wie ich oben auch gezeigt habe, nämlich dass unsere Einsicht und Wissenschaft nur von der Erkenntniss Gottes abhängt, entspringt und sich vollendet. Salomo sagt dann v. 9 ausdrücklich weiter, dass diese Wissenschaft die wahre Ethik und Politik enthalte, und dass beide aus ihr sich ableiten. »Dann wirst Du die Gerechtigkeit und das Gericht verstehn und das Recht und jeden guten Pfad,« und damit noch nicht zufrieden, fährt er fort: »Wenn die Wissenschaft in Dein Herz eingehn wird und die Weisheit Dir angenehm sein wird, dann wird Deine Vorsicht 3 und Deine Klugheit Dich bewachen.« - Dies Alles stimmt genau mit der natürlichen Erkenntniss; denn auch diese lehrt das Sittliche und die wahre Tugend, nachdem man die Erkenntniss der Dinge erlangt und den Vorzug der Weisheit geschmeckt hat. Deshalb hängt auch nach der Ansicht Salomo's das Glück und die Ruhe Dessen, der nach natürlicher Einsicht strebt, nicht von der Macht des Glücks (d.h. von der äussern Hülfe Gottes), sondern von seiner, innern Tugend (d.h. von der innern Hülfe Gottes) vorzüglich ab; denn er schützt sich vorzüglich durch Wachsamkeit, Thätigkeit und gute Rathschläge. Endlich darf hier auch eine Stelle Pauli in dem Briefe an die Römer I. 20 nicht unerwähnt bleiben, wo er (nach des Tremellius Uebersetzung aus dem Syrischen) sagt: »Das, was Gott verborgen hat von den Grundlagen der Welt, kann von seinen Geschöpfen durch Einsicht erblickt werden und seine Tugend und Göttlichkeit, die in Ewigkeit ist, so dass sie keine Ausflucht haben.« Damit zeigt er deutlich, dass Jedweder durch sein natürliches Licht Gottes Tugend und ewige Göttlichkeit einsehen und daraus wissen und abnehmen könne, was zu suchen und was zu fliehen sei; deshalb, schliesst er, hat Keiner eine Ausflucht, und Keiner kann sich mit Unwissenheit entschuldigen, was doch der Fall sein würde, wenn er von einem übernatürlichen Lichte spräche und von dem fleischlichen Leiden und Auferstehn Christi u.s.w. Deshalb fährt er in v. 24 fort: »Deshalb hat Gott sie übergeben an die unreinen Begierden des Herzens Derer u.s.w.« Bis zu Ende dieses Kapitels, wo er die Fehler der Unwissenheit beschreibt, sie als deren Strafe aufzählt, was ganz mit dem erwähnten Sprüchwort Salomo's XVI. 22 stimmt, nämlich »die Thorheit ist die Strafe der Thoren«; es ist deshalb nicht auffallend, dass Paulus sagt: »Die Bösen seien nicht zu entschuldigen«, denn sowie ein Jeder säet, so wird er ernten und aus Bösem entsteht nothwendig Böses, wenn es nicht weise verbessert wird, und aus Gutem Gutes, wenn es von der Beständigkeit begleitet ist; danach empfiehlt die Bibel unbedingt das Licht und das natürliche göttliche Gesetz, und damit ist das, was ich mir in diesem Kapitel vorgesetzt, erledigt.
Fünftes Kapitel
Weshalb die gottesdienstlichen Gebräuche eingeführt worden, und über den Glauben an die Geschichten; weshalb und für wen derselbe nöthig ist.
Im vorigen Kapitel habe ich gezeigt, dass das göttliche Gesetz, was die Menschen wahrhaft selig macht und sie das wahre Leben lehrt, allen Menschen gemein ist, und ich habe es aus der menschlichen Natur so abgeleitet, dass anzunehmen, es sei dem menschlichen Geiste angeboren und gleichsam eingeschrieben. Da nun die Gebräuche, wenigstens die in dem Alten Testament, blos für die Juden eingerichtet und deren Staate so angepasst waren, dass sie grösstentheils nur von der ganzen Gemeinschaft, aber nicht von dem Einzelnen verrichtet werden konnten, so
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