Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Theologisch-Politische Abhandlung: Erweiterte Ausgabe (German Edition)

Theologisch-Politische Abhandlung: Erweiterte Ausgabe (German Edition)

Titel: Theologisch-Politische Abhandlung: Erweiterte Ausgabe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Baruch de Spinoza
Vom Netzwerk:
nennt, und so ertheilt er unzweifelhaft wegen der Schwachheit des Fleisches Gott auch die Barmherzigkeit, die Gnade, den Zorn u.s.w. und bequemt seine Worte dem Verstande des Volkes oder, wie er selbst in dem ersten Brief an die Corinther III. 1, 2 sagt, dem Verstande der fleischlichen Menschen an. Denn Rom. IX. 18 sagt er bestimmt, dass Gottes Zorn und Barmherzigkeit nicht von den Werken der Menschen, sondern von der blossen Berufung, d.h. dem Willen Gottes abhänge, und dass Niemand durch seine Werke gerecht werde, sondern blos durch seinen Glauben (Röm. III. 28), worunter er nur die volle Zustimmung der Seele versteht, und endlich, dass Niemand selig werde, der nicht den Geist Christi in sich habe (Röm. VIII. 9), worunter er nämlich die Gesetze Gottes als ewige Wahrheiten versteht.
     
    Hieraus ergiebt sich, dass Gott nur nach der Fassungskraft der Menge und aus blosser Schwäche des Verstandes als Gesetzgeber und Fürst geschildert und gerecht und barmherzig genannt wird; vielmehr wirkt und leitet in Wahrheit Gott Alles nach seiner Natur und nach der Nothwendigkeit seiner Vollkommenheit allein; seine Beschlüsse und Gebote sind ewige Wahrheiten und enthalten immer die Nothwendigkeit.
     
    Dies war der erste Gegenstand, den ich zu erklären und zu beweisen hatte. Ich gehe jetzt zu dem zweiten über und gehe die Bibel durch, um zu sehen, was sie über das natürliche Licht und dieses göttliche Gesetz lehrt. Das Erste, was uns hier begegnet, ist die Geschichte des ersten Menschen, wo es heisst, Gott habe Adam verboten, von der Frucht des Baumes der Erkenntniss des Guten und Bösen zu essen. Dies scheint zu sagen, dass Gott dem Adam geboten, das Gute zu thun und es um sein selbst willen aufzusuchen, und nicht als Gegensatz des Bösen, d.h. er solle das Gute aus Liebe zum Guten suchen und nicht aus Furcht vor dem Uebel. Denn wer das Gute aus wahrer Erkenntniss und Liebe zu demselben thut, der handelt, wie ich gezeigt habe, frei und mit festem Sinn; wer es aber aus Furcht vor dem Uebel thut, handelt vielmehr aus Zwang und knechtisch und lebt unter dem Gebot eines Andern. Hiernach umfasst dieses eine Gebot Gottes an Adam das ganze natürliche göttliche Gesetz und stimmt vollständig mit dem Gebot des natürlichen Lichts. Es wäre nicht schwer, die ganze Erzählung von dem ersten Menschen oder diese Parabel nach diesem Grundsatz zu erklären; allein ich unterlasse es, da ich schwanke, ob meine Auffassung mit der Absicht des Verfassers übereinstimmt. Denn die Meisten fassen diese Erzählung nicht gleichnissartig auf, sondern nehmen sie als eine einfache Geschichte. Es ist deshalb besser, andere Stellen der Bibel herbeizunehmen; insbesondere solche, die von dem verfasst sind, der in Kraft des natürlichen Lichtes spricht, worin er alle Weisen seiner Zeit übertroffen hat, und dessen Aussprüche das Volk ebenso heilig hält wie die der Propheten. Ich meine den Salomo, von dem nicht sowohl die Weissagung und Frömmigkeit, als die Klugheit und Weisheit in der Bibel gerühmt wird. Dieser nennt in seinen Sprüchwörtern den menschlichen Verstand die Quelle des wahren Lebens und setzt das Unglück nur in die Thorheit. So sagt er XVI. 22: »Die Quelle des Lebens (ist) der Verstand seines Herrn und die Strafe der Thoren ist die Thorheit«. 1 Es ist hier zu bemerken, dass im Hebräischen mit »Leben« ohne Zusatz das wahre Leben gemeint ist, wie aus Deut. XXX. 19 erhellt.
     
    Hiernach besteht die Frucht der Einsicht lediglich in dem wahren Leben, und die Strafe lediglich im dessen Beraubung, was genau mit dem unter 4) Über das natürliche göttliche Gesetz Gesagte übereinstimmt. Dass aber diese Quelle des Lebens, oder dass die blosse Einsicht, wie gezeigt, den Weisen die Gesetze vorschreibt, wird ausdrücklich von diesem Weisen gelehrt; denn er sagt XIII. 14: »Das Gesetz des Klugen ist die Quelle des Lebens«, d.h. wie aus der vorher erwähnten Stelle sich ergiebt, die Einsicht. Ferner lehrt er III. 13 ausdrücklich, dass die Einsicht der Menschen selig und glücklich mache und die wahre Seelenruhe gewähre; denn er sagt: »Selig ist der Mensch, der die Wissenschaft erfunden, und des Menschen Sohn, welcher die Einsicht ermittelt,« und zwar, wie er v. 16 und 17 fortfährt, weil »sie unmittelbar die Länge der Tage 2 und mittelbar Reichthum und Ehre gewährt; dessen Wege (welche nämlich die Wissenschaft zeigt) sind angenehm und all seine Pfade der Frieden.« Also leben auch nach der Ansicht des Salomo nur die Weisen in

Weitere Kostenlose Bücher