Theologisch-Politische Abhandlung: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
Beschneidung auf das Gewissenhafteste festgehalten wird. Die Erfahrung lehrt aber, dass der Hass der Völker sie erhält. Als der König von Spanien einst die Juden zwang, entweder die Religion seines Staates anzunehmen oder in die Verbannung zu gehen, nahmen sehr viele Juden die katholische Religion an, und indem diese alle Vorrechte der eingebornen Spanier erhielten und in allen Ehrenrechten ihnen gleichgestellt wurden, so vermischten sie sich sofort mit den Spaniern in der Art, dass nach kurzer Zeit keine Spur und kein Andenken von ihnen geblieben ist. Das Gegentheil ereignete sich bei denen, welche der König von Portugal zwang, die Landesreligion anzunehmen; sie blieben trotzdem immer von den Übrigen Einwohnern getrennt, weil sie aller Ehrenrechte für unwürdig erklärt worden waren.
Ich glaube auch, dass die Sitte der Beschneidung so mächtig ist, dass sie allein dieses Volk in Ewigkeit erhalten kann; ja, wenn die Grundlagen seiner Religion ihren Geist nicht verweichlichten, so würde ich sicher glauben, dass sie einst bei passender Gelegenheit und beim Wechsel der menschlichen Schicksale ihr Reich wieder aufrichten werden, und Gott sie von Neuem erwählen werde. Ein merkwürdiges Beispiel der Art haben wir an den Chinesen, welche ebenfalls ein Zeichen am Kopfe, durch das sie sich von allen Andern unterscheiden, ängstlich bewahren. Denn sie haben in dieser Trennung Jahrtausende von Jahren sich erhalten, und das chinesische Volk übertrifft im Alter alle andern Völker; auch haben sie nicht immer die Herrschaft gehabt; aber wenn sie sie verloren hatten, erlangten sie sie auch wieder, und sie werden sie auch jetzt unzweifelhaft wieder gewinnen, wenn der Geist der Tartaren durch die Ueppigkeit des Reichthums und durch Trägheit erschlafft sein wird.
Wollte endlich Jemand dabei beharren, dass die Juden aus diesem oder einem andern Grunde von Gott in Ewigkeit auserwählt seien, so will ich ihm nicht entgegen sein, wenn er nur anerkennt, dass diese zeitliche oder ewige Erwählung, soweit sie die Juden allein betrifft, sich nur auf ihr Reich und die Bequemlichkeiten des Lebens bezieht, was allein ein Volk von dem andern unterscheiden kann. Dagegen kann rücksichtlich des Verstandes und der wahren Tugend kein Volk mehr haben als das andere, und keines kann deshalb hierin von Gott vor andern auserwählt sein.
Viertes Kapitel
Ueber das göttliche Gesetz.
Das Wort »Gesetz« an sich bezeichnet das, wonach jeder Einzelne, seien es Alle oder Einige einer Gattung, auf dieselbe feste und bestimmte Weise handelt; es hängt entweder von der Naturnothwendigkeit oder von dem Belieben der Menschen ab. Ersteres folgt aus der Natur oder Definition des Gegenstandes selbst mit Nothwendigkeit; das Gesetz aus dem Belieben der Menschen, was eigentlich das Recht genannt wird, ist dagegen das, was die Menschen zur Sicherheit und Bequemlichkeit des Lebens oder aus andern Gründen sich und Andern aufgelegt haben. So ist es z.B. das Gesetz, wonach alle Körper bei dem Stoss gegen kleinere so viel von ihrer Bewegung verlieren, als sie jenen mittheilen, ein allgemeines für alle Körper, was aus ihrer Natur nothwendig folgt. Ebenso ist es ein aus der menschlichen Natur nothwendig folgendes Gesetz, dass der Mensch bei der Erinnerung einer Sache sich auch sofort der ähnlichen oder der mit jener früher zugleich gehabten Vorstellung erinnert. Dagegen hängt es von dem menschlichen Belieben ab, dass die Menschen ihr natürliches Recht abtreten oder abtreten müssen und einer bestimmten Lebensweise sich unterwerfen.
Wenn ich auch zugebe, dass Alles nach allgemeinen Naturgesetzen sich zum Dasein und zum Wirken in scharfer und fester Weise bestimmt, so meine ich doch, dass diese Gesetze von dem Belieben der Menschen abhängen: 1) weil der Mensch selbst ein Theil der Natur ist und deshalb auch einen Theil ihrer Kraft ausmacht. Was daher aus der Nothwendigkeit der menschlichen Natur folgt, d.h. aus der Natur selbst, soweit wir sie durch die menschliche Natur bestimmt vorstellen, das folgt, obgleich nothwendig, dennoch auch aus der menschlichen Macht. Deshalb kann man ganz richtig sagen, dass die Feststellung jener Gesetze von dem Belieben der Menschen abhängt, weil sie wesentlich von der Macht des menschlichen Geistes so abhängen, dass nichtsdestoweniger der menschliche Geist, soweit er die Dinge unter dem Gesichtspunkt des Wahren und Falschen auffasst, sie auch ohne diese Gesetze klar auffassen könnte, aber nicht
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