Theologisch-Politische Abhandlung: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
ohne das nothwendige Gesetz, wie ich es eben erklärt habe. 2) Ich habe gesagt, dass diese Gesetze auch deshalb von dem Belieben der Menschen abhängen, weil man die Dinge nach ihren nächsten Ursachen bestimmen und erläutern muss, und weil jene allgemeine Auffassung des Schicksals und der Verkettung der Ursachen uns für die Bildung und Ordnung unserer Kenntniss der besondern Dinge nicht weiter bringt. Dazu kommt, dass die Reihenfolge und Verkettung der Dinge, wie sie in Wahrheit sich folgen und verknüpft sind, ganz unbekannt ist, und es ist deshalb für das Leben besser, ja nothwendig, die Dinge als möglich zu nehmen. So viel über das Gesetz an sich betrachtet.
Allein dieses Wort wird durch Uebertragung auch auf natürliche Dinge angewendet, und man versteht meist unter Gesetz nur einen Befehl, den die Menschen befolgen oder vernachlässigen können, weil es die menschliche Macht in gewisse Schranken stellt, über die sie an sich hinausreicht, und weil es nicht etwas darüber hinaus verlangt. Hiernach ist das Gesetz im engem Sinne eine Weise zu leben, die der Mensch sich oder Andern zu einem Zwecke vorschreibt. Da indess der Zweck der Gesetze nur Wenigen bekannt zu sein pflegt, und die Meisten zu dessen Verständniss ganz ungeschickt sind und nichts weniger als nach der Vernunft leben, so haben die Gesetzgeber, um Alle gleich zu verpflichten, ein anderes, von dem aus der Natur des Gesetzes nothwendig folgenden ganz verschiedenes Ziel gesetzt, indem sie den Verfechtern der Gesetze das versprechen, was die Menge am meisten liebt, und den Gesetzesverletzern das androhn, was sie am meisten fürchtet. So haben sie gesucht die Menge, gleich ein Pferd durch den Zügel, soweit als möglich in Ordnung zu halten, und daher ist es gekommen, dass vorzugsweise die Lebensweise, die den Menschen durch Anderer Befehl vorgeschrieben wird, unter Gesetz verstanden wird, und dass von Denen, welche den Gesetzen folgen, es heisst, sie leben unter den Gesetzen und scheinen zu dienen, während in Wahrheit Der, welcher dem Andern nur das Seine giebt, weil er den Galgen fürchtet, lediglich in Folge des in des Andern Befehl und in dem Uebel liegenden Zwanges so handelt und nicht gerecht heissen kann, sondern nur Der, welcher Jedem das Seine giebt, weil er die wahre Natur der Gesetze und ihre Nothwendigkeit kennt und mit Festigkeit und aus eignem, nicht aber aus fremdem Entschluss handelt. Deshalb verdient nur dieser gerecht genannt zu werden. Dies hat wohl auch Paulus mit den Worten sagen wollen, »dass, wer unter dem Gesetz lebe, durch das Gesetz nicht gerechtfertigt werden könne«. Denn die Gerechtigkeit ist nach der gebräuchlichen Definition der feste und beharrliche Wille, Jedem das Seine zu geben. Deshalb sagt Salomo (Sprüchwört. XXI. 15): »Der Gerechte freut sich über das Gericht; aber die Ungerechten sind voll Furcht«.
Wenn sonach das Gesetz nur die Lebensweise ist, welche die Menschen sich oder Andern zu einem Zwecke vorschreiben, so muss das Gesetz in das göttliche und menschliche eingetheilt werden. Unter letzterem verstehe ich die Lebensweise, welche nur dem Schutz des Lebens und dem Staate dient, unter dem göttlichen aber, welche blos auf das höchste Gut, d.h. auf die wahre Kenntniss und Liebe Gottes abzielt. Wenn ich dieses Gesetz das göttliche nenne, so geschieht es wegen der Natur des höchsten Guts, die ich mit Wenigem hier möglichst klar darlegen will.
Da der bessere Theil in uns die Einsicht ist, so müssen wir, wenn wir wahrhaft unserem Besten nachstreben wollen, vor Allem diese Einsicht nach Möglichkeit zu vervollkommnen suchen; denn in deren Vervollkommnung muss unser höchstes Gut bestehen. Da ferner alle unsere Kenntniss und Gewissheit, die allen Zweifel beseitigt nur von der Erkenntniss Gottes abhängt, theils weil ohne Gott Nichts sein und Nichts erkannt werden kann, theils auch, weil man über Alles zweifeln kann, so lange man keine klare und deutliche Vorstellung von Gott hat, so folgt, dass unser höchstes Gut und unsere Vollkommenheit nur von der Erkenntniss Gottes abhängt u.s.w.
Wenn so Nichts ohne Gott bestehn oder erkannt werden kann, so enthält jedes Ding in der Natur den Begriff Gottes nach Verhältniss seines Wesens und seiner Vollkommenheit und drückt ihn nur aus, und je mehr wir also die natürlichen Dinge erkennen, desto mehr steigt auch und vervollkommnet sich unsere Erkenntniss Gottes; oder, da die Erkenntniss der Wirkung durch die Ursache nur die Erkenntniss
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