Theologisch-Politische Abhandlung: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
Gesetze geben und dem Volke die einmal zugestandene Freiheit nehmen können.
Nach diesen allgemeinen Betrachtungen komme ich auf den jüdischen Staat zurück. Als die Juden aus Aegypten auszogen, waren sie dem Rechte keines andern Volkes mehr unterworfen; sie konnten daher nach Belieben neue Gesetze erlassen und neue Rechte und einen Staat ordnen, wo sie wollten, und wo sie das Land in Besitz nehmen wollten. Allein sie waren zu Nichts weniger geeignet, als sich weise Gesetze zu geben und die Herrschaft selbst gemeinsam zu behalten; denn ihr Geist war ungebildet, und sie waren durch die harte Sklaverei verderbt. Die Herrschaft musste deshalb bei Einem bleiben, der die Anderen befehligte, sie mit Gewalt zwang, Gesetze gab und sie später auslegte. Diese Herrschaft konnte Moses leicht sich erhalten, da er in göttlicher Kraft die Anderen Übertraf und das Volk Überzeugte, dass er solche besass und dies durch viele Zeugnisse bewies (Exod. XIV. letzter Vers; XIX. 9). Dieser gab also vermöge der göttlichen Kraft, die ihn mächtig erfüllte, dem Volke Gesetze und sorgte dabei, dass das Volk nicht sowohl aus Furcht, sondern freiwillig denselben gehorchte. Zweierlei nöthigte ihn besonders hierzu, nämlich der widerspenstige Geist des Volkes (der sich mit Gewalt nicht zwingen liess) und der bevorstehende Krieg. Damit dieser glücklich geführt würde, mussten die Soldaten mehr ermahnt, als mit Strafen und Drohungen erschreckt werden; denn dann beeifert sich Jeder, durch Tugend und Geistesgrösse zu glänzen, und denkt nicht blos, wie er die Strafe vermeide. Aus diesem Gründe setzte Moses mit Kraft und auf göttlichen Befehl die Religion in seinem Staate ein, damit das Volk seine Pflicht nicht sowohl aus Furcht, sondern aus Ergebenheit erfülle. Dann verpflichtete er es durch Wohlthaten und versprach ihm von Seiten Gottes Vieles für die Zukunft und gab keine zu strengen Gesetze, wie Jeder, der sie genau erforscht, mir leicht zugeben wird; insbesondere wenn er die Nebenumstände beachtet, die zur Verurtheilung eines Angeklagten nöthig waren. Damit endlich das Volk, was sich nicht selbst regieren konnte, dem Herrscher gehorsam wäre, liess er diesen an die Knechtschaft gewohnten Menschen Nichts für ihr Belieben übrig; das Volk konnte Nichts beginnen, ohne dass es des Gesetzes zu gedenken und die Gebote zu vollziehen hatte, die blos von dem Belieben des Herrschers abhingen. Denn es war nicht nach Belieben, sondern nach festen und bestimmten Anordnungen des Gesetzes erlaubt, zu pflügen, zu säen, zu ernten. Ebenso durfte man nichts essen, anziehen, das Haupt und den Bart nicht scheeren, sich nicht freuen noch sonst etwas vornehmen, als nach den in den Gesetzen vorgesehenen Anordnungen und Befehlen. Damit nicht genug, mussten sie an den Thürpfosten, an den Händen und unter den Augen gewisse Zeichen haben, die sie immer an den Gehorsam erinnerten. Es war also das Ziel der Gebräuche, dass diese Menschen Nichts aus eigenem Willen, sondern nur nach dem Gebot eines Andern thaten, und dass sie in allen ihren Handlungen und Gedanken ihre Unselbstständigkeit und Unterwürfigkeit anerkannten. Daraus erhellt, dass die Gebräuche mit der Seligkeit nichts zu thun haben, und dass die in dem Alten Testamente enthaltenen, ja das ganze Gesetz Mosis, nur auf den jüdischen Staat und mithin nur auf körperliche Vortheile abgezielt haben.
Was nun die christlichen Gebräuche anlangt, die Taufe, das Abendmahl, die Feste, die Predigten und Anderes, was dem Christenthum immer gemeinsam gewesen, so sind sie, wenn sie überhaupt von Christus oder den Aposteln eingesetzt worden, was mir noch zweifelhaft scheint, nur als äussere Zeichen der allgemeinen Kirche eingesetzt, aber nicht, um zur Seligkeit beizutragen, und mit einer inneren Heiligkeit. Daher sind diese Gebräuche zwar nicht des Staates wegen, aber doch um der ganzen Gemeinschaft wegen eingesetzt, und deshalb ist Der, welcher für sich allein lebt, an sie nicht gebunden; ja, wenn er in einem Staate lebt, wo die christliche Religion verboten ist, hat er sich derselben zu enthalten und kann doch selig leben. Ein Beispiel dazu giebt das japanesische Reich, wo die christliche Religion verboten ist, und die dort wohnenden Niederländer auf Anordnung der ostindischen Gesellschaft sich aller äusseren gottesdienstlichen Handlungen zu enthalten haben. Ich brauche dies jetzt durch keine weitere Autorität zu unterstützen, und wenn es auch leicht aus den Grundlagen des Neuen
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