Theologisch-Politische Abhandlung: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
Testaments darzulegen und mit deutlichen Zeugnissen zu belegen wäre, so lasse ich es doch gern, da es mich zu Anderem drängt.
Ich gehe also zu dem zweiten Gegenstande dieses Kapitels über, nämlich: Für welche Personen und aus welchen Gründen der Glaube an die biblische Geschichte nöthig ist. Um dies nach natürlichem Lichte zu ermitteln, werde ich so zu verfahren haben.
Wenn Jemand will, dass die Menschen etwas glauben oder nicht glauben, was nicht von selbst bekannt ist, so muss er zu diesem Zweck seine Behauptung aus Zugestandenem ableiten und sie durch Erfahrung oder die Vernunft überzeugen, also durch Dinge, die sie sinnlich wahrgenommen haben, oder aus geistigen, von selbst bekannten Grundsätzen. Ist die Erfahrung nicht klar und deutlich eingesehen, so kann sie doch vielleicht den Menschen überzeugen, aber sie kann den Verstand nicht ebenso bestimmen und seine Nebel zerstreuen, als wenn die Sache blos durch die Kraft des Verstandes und die Regeln seiner Einsicht dargelegt wird; namentlich wenn es sich um geistige Dinge handelt, die nicht in die Sinne fallen. Indess erfordert eine solche Ableitung aus geistigen Begriffen meist eine lange Verkettung der Sätze und auch grosse Vorsicht und Schärfe des Verstandes und hohe Ausdauer, die selten sich bei den Menschen finden; deshalb ziehen die Menschen lieber die Belehrung durch die Erfahrung vor und mögen ihre Ansichten nicht aus wenigen obersten Grundsätzen ableiten und mit einander verknüpfen. Will daher Jemand einem ganzen Volke oder gar dem ganzen menschlichen Geschlechte eine Lehre beibringen, die Alle verstehen sollen, so muss er sie durch die Erfahrung belegen und seine Gründe und seine Definitionen vor Allem der Fassungskraft des niedrigen Volkes, was den grössten Theil des Menschengeschlechts ausmacht, anbequemen; aber er darf nicht verknüpfen und keine Definitionen bieten, wie sie zur bessern Verkettung der Gründe dienen. Ohnedem mag er lieber für die Gelehrten schreiben, d.h. für nur einen kleinen Theil der Menschen, wo er verstanden werden wird. Da nun die ganze Bibel zuerst für ein ganzes Volk und später für das ganze Menschengeschlecht offenbart worden, so musste ihr Inhalt der Fassungskraft des niederen Volkes vor Allem anbequemt und durch die Erfahrung bestätigt werden.
Ich will mich noch deutlicher ausdrücken. Das blos Spekulative, was die Bibel lehrt, ist, dass es einen Gott giebt oder ein Wesen, was Alles geschaffen hat, Alles mit der höchsten Weisheit leitet und erhält, und was für die Menschen sorgt, d.h. für die Frommen und Rechtlichen; dagegen die Anderen mit harten Strafen belegt und von den Guten sondert. Dies belegt die Bibel blos mit Erfahrungen, nämlich den in ihrer Geschichte erzählten Vorfällen; aber Definitionen giebt sie davon nicht, sondern passt ihre Worte und Gründe dem Verstande des niederen Volkes an. Da nun aber die Erfahrung keine klare Erkenntniss von diesen Sätzen geben und nicht darlegen kann, was Gott ist, und wie er Alles erhält und regiert und für die Menschen sorgt, so kann sie die Menschen nur so weit belehren und unterrichten, als zureicht, Gehorsam und Frömmigkeit ihren Seelen einzuprägen.
Dies ergiebt deutlich, für wen und weshalb der Glaube an die in der Bibel enthaltenen Erzählungen nöthig ist; denn es folgt aus dem eben Dargelegten, dass diese Kenntniss und dieser Glaube dem niederen Volke höchst nothwendig ist, dessen Verstand diese Dinge nicht deutlich und klar einsehen kann. Ferner ist Der gottlos, welcher sie leugnet, weil er an keinen Gott glaubt und nicht an dessen Sorge für die Welt und die Menschen; wer aber diese Geschichten mir nicht kennt, aber doch durch sein natürliches Licht weiss, dass Gott ist, sammt den Anderen, und hiernach einen wahren Lebenswandel führt, der ist selig, ja seliger als die Masse, weil er neben den wahren Meinungen auch noch eine klare und deutliche Erkenntniss hat. Hiernach ist Der, welcher diese Geschichten der Bibel nicht kennt und auch nach natürlichem Lichte nichts weiss, wenn auch nicht gottlos und ungehorsam, doch unmenschlich und beinah thierisch und ohne eine Gabe Gottes.
Indess verstehe ich mit diesem Satze, dass die Kenntniss der Geschichte dem niederen Volke höchst nöthig sei, nicht die Kenntniss aller Geschichten, welche die Bibel enthält, sondern nur der vorzüglicheren, die, auch ohne die anderen, die erwähnten Sätze am deutlichsten darlegen und das Gemüth der Menschen am meisten bewegen
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