Theologisch-Politische Abhandlung: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
ist gewiss, dass sie nicht zu dem göttlichen Gesetz gehören und deshalb auch zur Seligkeit und Tugend nicht beitragen; vielmehr betreffen sie nur die Erwählung der Juden, d.h. nach dem im dritten Kapitel Ausgeführten, nur das zeitliche Glück des Körpers und die Ruhe des Staats, und sie konnten deshalb nur während des Bestandes ihres Staates von Nutzen sein. Wenn sie im Alten Testamente auf das Gesetz Gottes bezogen werden, so geschah es nur, weil sie durch die Offenbarung oder auf offenbarten Grundlagen eingerichtet waren.
Indess wollen selbst die kräftigsten Gründe bei der Masse der Theologen wenig sagen; ich möchte deshalb diese Sätze auch durch das Ansehn der Bibel bekräftigen und dann zu näherer Deutlichkeit zeigen, weshalb und wie diese Gebräuche zur Befestigung und Erhaltung des jüdischen Reiches beigetragen haben. - Aus Esaias ergiebt sich ganz klar, dass das göttliche Gesetz an sich jenes allgemeine Gesetz bezeichnet, was in dem wahren Lebenswandel und nicht in Gebräuchen besteht. Denn I. 10 ruft der Prophet seinem Volk, dass es das göttliche Gesetz von ihm vernehme. Daraus sondert er vorher alle Arten von Opfer und alle Festtage aus und lehrt erst dann das Gesetz (man sehe v. 16, 17) und fasst dasselbe in wenigen Worten zusammen, nämlich in die Reinigung der Seele, in die Hebung und Gewohnheit der Tugend oder der guten Handlungen und endlich in die Unterstützung der Armen. Ein ebenso klarer Beleg ist die Stelle Psalm. XL. 7, 9, wo der Psalmist Gott anredet: »Du hast kein Opfer und Geschenk gewollt 4 , Du hast meine Ohren durchstochen; hast keine Brandopfer und kein Sühnopfer für meine Sünden verlangt; Deinen Willen, mein Gott, habe ich vollführen wollen, denn Dein Geist ist in meinen Eingeweiden.« Er nennt also nur das Gottes Gesetz, was den Eingeweiden oder der Seele eingeschrieben ist, und trennt davon die Gebräuche; denn diese sind nur vermöge der Einrichtung, aber nicht von Natur gut und deshalb auch der Seele nicht eingeschrieben.
Ausser diesen Stellen sind noch andere in der Bibel, die dasselbe bezeugen; doch werden diese zwei genügen. Dass aber die Gebräuche für die Seligkeit Nichts helfen, sondern nur auf das zeitliche Glück des Staats sich beziehen, erhellt aus der Bibel selbst, da sie für diese Gebräuche nur Vortheile und Annehmlichkeiten des Körpers verheisst, die Glückseligkeit aber nur für das allgemeine göttliche Gesetz. In den nach Moses benannten fünf Büchern wird, wie erwähnt, nur dieses zeitliche Glück verheissen, d.h. Ehren, Ruhm, Siege, Reichthümer, Genüsse und Gesundheit; und wenn auch diese Bücher neben den Gebräuchen viel Moralisches enthalten, so ist es doch nicht in der Form von moralischen, allen Menschen gemeinsamen Lehren darin enthalten, sondern nur als Befehle, die der Fassungskraft und dem Verstande des jüdischen Volkes vorzugsweise angepasst sind, und die deshalb auch nur den Nutzen ihres Reiches bezwecken. So lehrt z.B. Moses die Juden nicht als Lehrer oder Prophet, dass sie nicht tödten und nicht stehlen sollen, sondern er verbietet es als Gesetzgeber und Fürst; er stützt die Lehren nicht auf die Vernunft, sondern fügt seinen Befehlen Strafen bei, die, wie die Erfahrung lehrt, nach dem Charakter der Völker wechseln können und müssen. So hat er auch bei dem Verbot des Ehebruchs nur das Wohl des Staates und Reiches im Auge; denn hätte er einen moralischen Satz ihnen lehren wollen, der nicht blos den Nutzen des Staates, sondern die Ruhe der Seele und die wahre Seligkeit des Einzelnen bezweckte, so würde er nicht blos die äussere Handlung verdammen, sondern auch die innere Gesinnung, wie Christus that, der nur allgemeine Lehren gab (Matth. V. 28), und deshalb verspricht auch Christus einen geistigen Lohn und nicht, wie Moses, einen körperlichen. Denn Christus ist, wie gesagt, nicht zur Erhaltung des Reiches und zur Einsetzung von Gesetzen, sondern nur zur Lehre des allgemeinen Gesetzes gesandt worden und daraus erhellt, dass Christus keineswegs das Gesetz Mosis aufgehoben hat, da Christus überhaupt keine neuen Gesetze für den Staat geben wollte, sondern nur moralische Lehren, und diese von den Gesetzen des Staates sondern wollte, vorzüglich um der Unwissenheit der Pharisäer willen, welche meinten, dass Derjenige selig lebe, welcher das Recht des Staates oder das Gesetz Mosis vertheidige; obgleich doch dies nur, wie erwähnt, den Staat im Auge hatte und den Juden nicht zur Belehrung, sondern zum Zwange dienen
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