Theopolis - Heimat meines Herzens
tröstete sie ihn und stand auf. “Ich komme später wieder, wenn du dich frischer fühlst.” Lächelnd fügte sie hinzu: “Ich mache mir ernsthaft Sorgen um dich, Constantine. Hoffentlich weißt du das.”
Er hatte die Augen geschlossen. Instinktiv spürte sie, dass er wieder das Bewusstsein verloren hatte. Angst erfasste sie. Constantine hatte ihr eine gewaltige Verantwortung aufgebürdet, und falls Demetri herausfand …
Joanna beschloss, den Lunch auf dem Balkon einzunehmen. Ihren Anordnungen vom Vormittag folgend, wenn auch unwillig, servierte Philip Omelette und Salat. Ihre Erklärung, sein Arbeitgeber würde später aufstehen, hatte er mit einem skeptischen Blick quittiert.
Die Speisen waren dekorativ angerichtet und weckten Joannas Appetit. Hier draußen fühlte sie sich sicher vor Demetri und Olivia. Die beiden würden später unweigerlich mit ihr reden wollen, aber im Moment war sie nicht gewillt, sich von ihnen die Mahlzeit verderben zu lassen.
Nach ein paar Bissen begann sie jedoch lustlos auf dem Teller herumzustochern. Es war Jahre her, dass sie gutes Essen genossen und sich sogar darauf gefreut hatte.
Das hatte allerdings ein jähes Ende gefunden, als ihre Eltern bei einem Lawinenunglück in Österreich ums Leben gekommen waren und sie zu der unverheirateten Tante ihres Vaters übersiedelte. Die Mahlzeiten bei Tante Ruth waren keine heitere Angelegenheit, zumal die alte Dame ständig darüber klagte, dass ihr geringes Einkommen kaum für sie selbst reichte, geschweige denn für ein im Wachstum befindliches Mädchen, das pausenlos neue Sachen brauchte.
Nachdem Joanna ihren Schmerz und ihre anfängliche Verwirrung überwunden hatte, dämmerte ihr, dass ihr Leben nie wieder dasselbe sein würde. Als sie mit achtzehn die Schule verließ, war sie bereit, sich einen Job zu suchen und für sich selbst zu sorgen, da sie ihrer Tante nicht länger zur Last fallen wollte. Doch das Schicksal schlug erneut zu. Ihre Tante erlitt einen Schlaganfall, und Joanna blieb keine andere Wahl, als weiterhin bei ihr zu wohnen und sich um sie zu kümmern. Vier Jahre lang pflegte sie die Kranke und bemühte sich, mit der geringen Sozialunterstützung auszukommen.
Erst nach dem Tod der Tante erfuhr sie von dem Treuhandfonds, den ihr Vater für sie eingerichtet hatte, um notfalls ihre Ausbildung und persönlichen Bedürfnisse zu finanzieren. Im Lauf der Zeit hatte sich mit den Zinsen eine ansehnliche Summe angesammelt. Aus unerfindlichen Gründen hatte ihre Tante es jedoch vorgezogen, das Geld nicht anzutasten oder ihr davon zu erzählen und Joanna stattdessen in dem Glauben zu belassen, sie wäre völlig mittellos.
Nach der Beerdigung hatte Joanna die kleine Wohnung verkauft, in der sie die letzten zehn Jahre ihres Lebens verbracht hatte, und ein komfortables Apartment in Kensington erworben. Danach gönnte sie sich eine neue Garderobe, eine neue Frisur und einen Urlaub auf Sardinien. Und dort war sie Richard Manning begegnet …
Eine Wolke verdunkelte die Sonne. Joanna stand auf und ging zur Balkonbrüstung. Während sie sich auf das schmiedeeiserne Geländer stützte, versuchte sie das Gefühl der Unzulänglichkeit zu verdrängen, das sie stets befiel, sobald sie an die Monate mit Richard dachte. Ihre grenzenlose Naivität erstaunte sie noch immer. Hatte sie tatsächlich nie geahnt, dass er nicht das war, was er zu sein schien?
Mit zweiundzwanzig war sie sexuell unerfahrener als mancher Teenager gewesen. Einen festen Freund hatte sie nie gehabt. Tante Ruth hatte sie nie ermutigt, sich außerhalb der Schule mit jemandem zu treffen, und da sie Joanna ein permanent schlechtes Gewissen eingeimpft hatte, wäre es dieser natürlich nie in den Sinn gekommen, den Wünschen der alten Dame zuwiderzuhandeln.
Deshalb hatte Richard auch einen so guten Eindruck auf sie gemacht. Groß, blond, attraktiv, mit höherer Schulbildung und einem exzellenten Job in London, verkörperte er alles, was sie sich von einem Mann je erträumt hatte. Dass er mit einem anderen Mann in Urlaub gefahren war, hatte sie nicht gewundert. Er war höflich und weltgewandt gewesen, und sie hatte sich ungemein geschmeichelt gefühlt, als er ihr seine Aufmerksamkeit schenkte.
Die Ferien waren schöner, als sie sich erhofft hatte. Richard hatte viel Zeit mit ihr verbracht, hatte mit ihr in seinem Mietwagen Ausflüge unternommen und sie zum Dinner in die besten Restaurants ausgeführt. Einmal hatte sie erwähnt, dass er seinen Freund vernachlässige, aber er
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