Theorie der Unbildung: Die Irrtümer der Wissensgesellschaft (German Edition)
ER Stand von Bildungspolitik heute ist durch einen einfachen Satz zu beschreiben: Sie erschöpft sich im Schielen auf die Ranglisten. Diese Bemerkung ist alles andere als polemisch, denn sie kann auf eine geradezu erschreckende Evidenz verweisen. Alle relevanten und auch in der Öffentlichkeit heftig diskutierten bildungspolitischen Entscheidungen der letzten Jahre sind entweder durch einen schlechten Listenplatz motiviert oder geboren aus dem Wunsch, einen besseren Listenplatz zu erreichen. Ob Schulreformen initiiert, pädagogische Programme propagiert oder Eliteuniversitäten und Exzellenzzentren gefordert werden – das Argument ist immer das gleiche: Der Platz auf einer Rangliste muß verbessert werden. Nicht einmal ein diffuser Bildungsbegriff, schon gar nicht ein gesellschaftspolitisches Konzept von Bildung zeichnet sich hinter gegenwärtiger Bildungspolitik ab, sondern diese läßt sich auf einen einzigen Satz reduzieren: Wo stehen wir?
Die Standortfrage, selbst ideologischer Ausdruck einer Ökonomie der Erpressung, gewinnt in der Bildungspolitik eine zusätzliche, mitunter unfreiwillig komische Bedeutung. Die Attraktivität eines Bildungsstandortes ergibt sich aus dem Listenplatz, den dieser bei diversen Rankings einnimmt. Wäre bei solchen Rankings zum Beispiel eine österreichische Universität immer ganz vorne gewesen, hätte das Konzept der sogenannten Eliteuniversität in Maria Gugging kaum in der Schnelligkeit konkrete Gestalt annehmen können, mit der es nun realisiert werden soll. Auch die Forderung des EU-Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso nach einem European Institute of Technology (EIT) wurde vor allem durch den Hinweis begründet, daß europäische Universitäten bei den diversen Rankings zuwenige Spitzenplätze belegen. Und die Aufregungen über die PISA-Studie sind fast ausschließlich dadurch motiviert, daß in diesen Länderreihungen Österreich und Deutschland nur Plätze im hinteren Mittelfeld einnehmen.
Am sinnfälligsten wurde das Ersetzen des Denkens durch das Abzählen einer Rangliste wohl am Beispiel von PISA. Hinter diesem Kürzel verbirgt sich das Programme for International Student Assessment der OECD, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, in dreijährigen Abständen zentrale Kompetenzen bei 15jährigen Schülern im internationalen Vergleich zu überprüfen. Daß beim ersten Test Deutschland, beim zweiten Deutschland und Österreich eher schlecht abschnitten, hat neben einer in Bildungsfragen sonst selten zu beobachtenden kollektiven Depression zu völlig neuen Orientierungen in der Bildungspolitik geführt, mit dem erklärten Ziel, beim nächsten PISA-Test besser abzuschneiden. Anstelle der Bildungsziele der Aufklärung – Autonomie, Selbstbewußtsein und die geistige Durchdringung der Welt –, anstelle der Bildungsziele der Reformpädagogiken – Lebensnähe, soziale Kompetenz und Freude am Lernen –, anstelle der Bildungsziele der neoliberalen Schulpolitiker – Flexibilität, Mobilität und Beschäftigungsfähigkeit – ist ein einziges Bildungsziel getreten: PISA bestehen! Signifikanter zeigt sich Unbildung in keinem Zentrum vermeintlicher Bildung.
Was an PISA erstaunt, sind allerdings kaum die Ergebnisse dieser Studie. Daß ein ziemlich mittelmäßiges Land wie etwa Österreich bei einem ziemlich mittelmäßig konstruierten Test ziemlich mittelmäßig abschneidet, muß wahrlich nicht weiter verwundern. Sehr wohl verwunderlich allerdings waren die Reaktionen auf diesen Sachverhalt. Von Schock war da die Rede und von Bildungskatastrophe, Krisengipfel wurden einberufen, eine Zukunftskommission, deren Vorsitzender auch gleich die PISA-Tests in Österreich organisiert, wurde gegründet, damit endlich, nach Jahren des Reformfurors, alles grundlegend reformiert werden kann. Nach und vor jedem PISA-Test ergreift nun Hysterie das Land, und Hektik breitet sich aus. Natürlich will niemand schuld an schlechten Ergebnissen sein, aber selbstverständlich haben alle anderen alles falsch gemacht. Und jeder weiß, wie es besser geht. Auch wenn PISA nicht den Bildungsstand einer Schülerpopulation messen kann, eines vermag dieser Test sehr wohl: Er zeigt, wo die Bildungsexperten in einem Lande wohnen.
Erstaunlich dabei ist trotz allem, daß kaum über die Verläßlichkeit eines Tests diskutiert wird, der zum Beispiel suggeriert, daß sich ansonsten immer als träge denunzierte Institutionen in kurzer Zeit dramatisch zum Schlechteren wandeln können. Innerhalb von drei Jahren ist
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