Theorie der Unbildung: Die Irrtümer der Wissensgesellschaft (German Edition)
Art von Befragungen allen Kriterien der Reliabiliät und Validität Hohn sprechen, und um die einfache Frage zu beantworten, wie gut ein Dozent bei seinen Hörern und Hörerinnen über einen längeren Zeitraum tatsächlich ankommt, bedürfte es ziemlich aufwendiger Verfahren. Aber immerhin, solche Befragungen geben einigermaßen die Motivationslage der Studierenden wieder, sie klären auch über die Fähigkeit der Studierenden auf, Fragen in Fragebögen zu verstehen – so soll es vorgekommen sein, daß die Frage nach der regelmäßigen Abhaltung von Lehrveranstaltungen wieder gestrichen werden mußte, weil ein statistisch signifikanter Teil der Studierenden die eigene Abwesenheit von einer Lehrveranstaltung mit deren Ausfall verwechselte –, und sie bestätigen in einer eindrucksvollen statistischen und quantifizierten Form die Mutmaßungen über die Qualität von Lehrveranstaltungen, die man bei jedem Gespräch in der Mensa immer schon belauschen konnte. Darüber hinaus läßt sich bei unterschiedlichen Fragebogenmodellen der prognostizierbare Trend beobachten, daß weniger substantielle Lehrveranstaltungen besser bewertet werden als solche mit hohen Anforderungen und strengen Prüfungen, auch wenn die Bereitschaft der Studierenden, sich schwierigen Themen und Fragestellungen auszusetzen, vorhanden ist.
Der Sinn solcher Lehrevaluationen liegt gar nicht in ihrer tatsächlichen Verläßlichkeit oder Aussagekraft, sondern in ihrem Beitrag zum Aufbau interner Kontrollverfahren. Die rein psychologische Wirkung, die jede Form von Beobachtetwerden bei den Objekten solcher Betrachtungen auslöst, sollte nicht unterschätzt werden. Allein das Wissen, von Studenten bewertet zu werden, egal wie sinnig die Kriterien dieser Bewertung und die Kompetenz der Bewertenden auch sein mögen, kann zu einem veränderten Lehrverhalten führen. Entscheidend aber ist, daß diese Evaluationen durch die Struktur ihrer Fragen auch die Möglichkeit enthalten, die Didaktik und damit die Inhalte zu beeinflussen und zu steuern. Daß etwa in vielen Fragebögen die Frage nach dem Einsatz neuer Medien einen zentralen Stellenwert hat, hängt mit dem weitverbreiteten, inbrünstigen Glauben zusammen, daß E-Learning und Blended Learning , wie die neuen, aus betrieblichen Fortbildungsseminaren minderen Zuschnitts entlehnten Zauberworte der Universitätsdidaktik heißen, das Nonplusultra innovativer akademischer Lehre darstellen.
Ohne daß es eine Reflexion darüber gäbe, wann und unter welchen Bedingungen der Einsatz digitaler Medien sinnvoll sein kann, und ohne daß der einzelne seine Methoden gegen die Zumutung solcher Fragen verteidigen könnte, wird allein durch die Präsenz solcher Fragen im Evaluationsbogen und durch ihre mechanische Auswertung ein bestimmtes didaktisches Konzept forciert. Auf diese Art – und dies scheint charakteristisch für Evaluationen an sich – kann man Verhaltensteuerung betreiben und normative Vorgaben machen, ohne daß diese argumentiert oder begründet werden müßten. Es liegt in der Logik evaluierender Verfahren, unter dem Deckmantel der Leistungsfeststellung nach objektiven Kriterien eine normative Kraft zu entfalten, der sich kaum einer widersetzen kann, ohne in den Geruch des Versagers, des Verweigerers, des Querulanten, des Rückständigen oder des Ängstlichen zu geraten.
Ähnliches, wenn auch in anderer und geschärfter Form, gilt für die mittlerweile wesentlich wichtigere Evaluation von Forschungsleistungen. Durch den jüngsten Paradigmenwechsel in der Bildungspolitik haben sich die Universitäten binnen weniger Jahre von einer kundenorientierten Dienstleistungsinstitution in exzellente, am Konzept der Elite orientierte Forschungseinrichtungen verwandelt, die nicht mehr den Binnenmarkt der Hörsaalbesucher, sondern den Weltmarkt der Patente und Reputationen, der internationalen Rankings und Ranglisten und die Verschiebebahnhöfe von brain drain und brain gain bespielen. Nach welchen Kriterien wissenschaftliche Forschungsleistungen allerdings bewertet werden sollen, ist alles andere als klar. Der Spielraum ist groß, und die übliche Kombination von Fremd- und Eigenevaluation schafft auch hier eine ziemliche Bandbreite der Einschätzungen mit höchst unscharfen Rändern.
Welchen Stellenwert etwa Publikationen in nationalen und internationalen Zeitschriften im Vergleich zu monographischen Veröffentlichungen oder editorischen Aktivitäten haben sollen, ist prinzipiell ebensowenig ausgemacht wie die Frage
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