Theorie der Unbildung: Die Irrtümer der Wissensgesellschaft (German Edition)
nach der Bedeutung von fremdfinanzierter oder projektgebundener Forschung im Gegensatz zu individuellen Leistungen. In der Evaluationspraxis aber werden die Wertigkeiten bald klar. Die Einwerbung von Drittmitteln steht fast überall an erster Stelle. Die offenbar am Paradigma naturwissenschaftlicher Auftragsforschung orientierten Evaluationsstandards zeitigen mitunter Ergebnisse, die ein scharfes Licht auf die eigentlichen Intentionen der evaluierenden Rationalität werfen. Wenn etwa die in Fachkreisen und der Öffentlichkeit beachtete Publikationstätigkeit eines Humanwissenschaftlers von der Evaluationsinstanz mit der Bemerkung abqualifiziert wird, es handle sich dabei nur um »Gelegenheitsforschung«, da diese weder durch Aufträge noch durch sonstige Drittmittel »gefördert« gewesen sei, dann sagt dies nichts über die Qualität der Forschungsleistung, aber einiges über die Pervertierung von Forschung unter ökonomistischen Gesichtspunkten. Die Einsicht von Günther Anders, daß alle kritische Reflexion »Gelegenheitsphilosophie« sein müsse, da sie sich an den Gelegenheiten, das heißt an den konkreten Fragen und Problemen einer Epoche zu entzünden habe, hätte vor den Augen dieses Evaluators keine Gnade gefunden. Auf die Idee, daß eine Forschung im Rahmen der individuell zu verantwortenden universitären Forschungsfreiheit prinzipiell höher bewertet werden müßte als drittmittelfinanzierte Forschung, weil sie eben gerade keinen externen Interessen diverser Auftraggeber und Financiers untergeordnet ist, kommt ohnehin niemand mehr.
Tatsächlich zeigen solche Erfahrungen, daß unter der Hand durch ziemlich willkürliche Festsetzung vermeintlicher Standards der Wissenschaftsbegriff selbst normiert und transformiert wird. Die Differenzen unterschiedlicher Wissenschaftskulturen werden dabei in der Regel ebenso ignoriert wie die Frage nach dem tatsächlichen Gehalt wissenschaftlicher Leistungen. Und vor allem: Evaluationen werden nach relativ willkürlichen, aber vorher festgelegten Kriterien vorgenommen, sind also prinzipiell »blind für das Neue« 45 . Gerade das Außergewöhnliche, Originelle, Kreative und Innovative, das angeblich in einer Wissensgesellschaft einen so großen Wert darstellt, wird durch herkömmliche Evaluationsverfahren prinzipiell ignoriert. Durch Evaluierung ermittelte »Exzellenzprojekte« sind schon aus diesen Gründen höchstwahrscheinlich intellektuelles Mittelmaß.
Entscheidend scheint vielmehr zu sein, daß sich wissenschaftliche Forschung wenigstens der Form nach am Modell kollektiv organisierter anwendungsorientierter Wissenschaften auszurichten hat, was dazu führt, daß auch dort von Teamarbeit und Projekten, von Anwendung und Nutzen schwadroniert wird, wo es die Ehrlichkeit und der Stolz gebieten würden, eine individuelle Leistung, die sich der Erkenntnis verpflichtet fühlt, zu verteidigen. Statt dessen wird das in manchen Bereichen sinnvolle Modell von förderungswürdigen Forschungsschwerpunkten ebenfalls normativ dazu mißbraucht, jedes Forschungsvorhaben solchen Schwerpunkten unterzuordnen und dabei nur jene zu finanzieren, denen man – ebenfalls ein höchst reflexionsbedürftiges Modewort – Zukunftsfähigkeit bescheinigt. Und über allem schwebt der Fetisch der Internationalisierung, der den Auslandsaufenthalt zu einer wissenschaftlichen Qualifikation sui generis stilisiert und den um den Erdball jettenden Wissenschaftsmanager zu einer neuen Leitfigur werden läßt, auch wenn dieser im Rausch seiner Beschleunigung keinen klaren Gedanken mehr fassen kann.
Vom Ethos neuzeitlicher Wissenschaft, als Subjekt für die Wahrheit einzustehen, bleibt unter diesen Bedingungen wenig übrig. Es ist dem deutschen Wissenschaftsrat deshalb hoch anzurechnen, daß er, ganz gegen den Zeitgeist, nach langem Schweigen davor warnt, Parameter der anwendungsorientierten Naturwissenschaften den Geisteswissenschaften zu oktroyieren, und dabei festhält, daß geisteswissenschaftliche Forschung primär an den Universitäten stattzufinden habe, Drittmitteleinwerbung kein entscheidendes Kriterium und dem innerdisziplinären Austausch gegenüber einer modischen Interdisziplinarität der Vorzug zu geben sei. 46
Dieser Evaluationsdruck zeitigt allerdings bemerkenswerte Konsequenzen. Die Anpassungsfähigkeit der Universitäten, wenn auch durch einen permanenten Reformzirkus auf eine harte Probe gestellt, führt dazu, daß sie externe und informelle Standards schnell verinnerlichen und sich
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