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Theorie der Unbildung: Die Irrtümer der Wissensgesellschaft (German Edition)

Theorie der Unbildung: Die Irrtümer der Wissensgesellschaft (German Edition)

Titel: Theorie der Unbildung: Die Irrtümer der Wissensgesellschaft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Konrad Paul Liessmann
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selbstredend daran orientieren. Die Evaluation »schafft so erst die Wirklichkeit, die sie zu bewerten vorgibt« 47 .
    Sobald man weiß, was von einem erwartet wird, werden diese Erwartungen erfüllt. Soll mehr publiziert werden, wird mehr publiziert; sollen die Präsenz am science citation index und der journal impact factor erhöht werden, wird, auf welche Weise immer, dem entsprochen; soll es mehr Projektanträge geben, gibt es mehr Projektanträge; soll Wissenschaft vernetzt betrieben werden, sprießen die Netze aus dem Boden; sollen Drittmittel requiriert werden, werden diese auch aufgetrieben, und sei es nur auf dem Papier – Forschungsfinanzierungsmodelle zu entwickeln gehört gegenwärtig zu den florierenden Sparten der ökonomisierten Wissensgesellschaft. Eine Evaluation ist zwar nicht imstande, auch nur im Ansatz die Qualität und Eigensinnigkeit wissenschaftlicher Leistungen zu erfassen oder gar zu messen, aber sie kanalisiert die Tätigkeiten von Wissenschaftlern: Alles konzentriert sich nun darauf, den quantitativen Vorgaben in quantitativer Weise zu entsprechen. Da kann es schon einmal vorkommen, daß man es mit Quellen, Autorschaften und Seriosität nicht ganz so ernst nimmt – bis hin zu Betrug und Fälschung. 48
    Nebenbei produziert der Evaluationsdruck eine neue, eigene Literaturgattung: die Antrags-, Projektbeschreibungs-, Selbstdarstellungs- und Bewertungsprosa. Zu dieser gehören nicht nur das gekonnte Jonglieren mit Zahlen und Statistiken, sondern auch die bemerkenswerte Fähigkeit, dem Zeitgeist genau abzulauschen, welche wissenschaftlichen Trends als zukunftsfähig gelten könnten und in welchen Segmenten es sich daher lohnt, jene transdisziplinär vernetzten und international begutachteten Projektanträge zu stellen, die dann bei einer allfälligen Evaluation als die großen Pluspunkte verbucht werden können. Unter diesen Bedingungen wächst nicht Forschung, wohl aber der organisatorische, bürokratische und poetische Aufwand für diese. Projektanträge erreichen mittlerweile Dimensionen, die dem Vernehmen nach dazu führen, daß manch ein Antragsteller gleich den Antrag als wissenschaftliche Publikation deklariert – was insofern sinnvoll ist, als ja, wie schon Daniel Defoe wußte, ein Projekt ein »großartiges Unternehmen ist, das zu breit angelegt ist, als daß aus ihm etwas werden könnte« 49 .
    Unter diesen Bedingungen verbessert sich nicht die Qualität der Forschung, die damit verbundenen Zahlen werden jedoch immer schöner. Und wenn dann eine Universitätsleitung ihren Wissenschaftlern vorgibt, um wie viele Prozentpunkte sie ihre Forschungsleistung im nächsten Jahr zu steigern und um wieviel Euro sie ihre Drittmittel zu erhöhen habe, dann drängt sich die Erinnerung an die Zielvorgaben und das Plansoll der ehemaligen sozialistischen Kommandowirtschaft geradezu auf. Abgesehen vom komischen Effekt, den es zweifellos hat, wenn ein Wissenschaftler darüber nachdenkt, wie er es schaffen soll, seine Forschungsleistung im nächsten Jahr um 13,5 Prozent zu verbessern, führen diese Spiele zu einem virtuellen Kosmos der frisierten Projekte, Zahlen und Diagramme, der mit der Wirklichkeit immer weniger zu tun hat.
    In einer solchen Konstellation werden dann auch, um Gelder zu requirieren, gesellschaftliche und ökonomische Nutzanwendungen versprochen, die die Welt binnen Kürze in ein technisches, medizinisches und moralisches Paradies kippen lassen müßten. Es wird, mit einem Wort, mitunter auch das Blaue vom Himmel gelogen. Das schärft nicht den Blick auf tatsächlich erbrachte Leistungen, das vernebelt ihn. Der geistige und materielle Aufwand zur Erzeugung dieser hochgestochenen Scheinrealität nimmt mittlerweile unverantwortbare Ausmaße an und verschlingt Ressourcen, die anderswo, vor allem in Forschung und Lehre, wahrlich sinnvoller eingesetzt werden könnten. Statt dessen sind Heerscharen von Wissenschaftlern ständig mit dem Abfassen von Gutachten, dem Evaluieren von Kollegen, dem Erstellen von Statistiken, dem Berechnen von Planziffern und Impact-Faktoren, dem Bewerten von Anträgen und Einreichungen und dem Eintreiben von Drittmitteln beschäftigt. Und damit sie nie zur Ruhe kommen, werden die Kriterien und Verfahren, nach denen evaluiert wird, mit jeder Evaluation verändert oder gleich neu definiert. Auf diesem Wege verhindern Evaluationen und Maßnahmen zur sogenannten Qualitätssicherung genau das, was zu bewerten und zu befördern sie vorgeben. Dafür werden die

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