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Theorie der Unbildung: Die Irrtümer der Wissensgesellschaft (German Edition)

Theorie der Unbildung: Die Irrtümer der Wissensgesellschaft (German Edition)

Titel: Theorie der Unbildung: Die Irrtümer der Wissensgesellschaft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Konrad Paul Liessmann
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Schicksals an ihn gemacht werden«. Und weiter heißt es bei Schiller über den Brotgelehrten: »Nicht bei seinen Gedankenschätzen sucht er seinen Lohn, seinen Lohn erwartet er von fremder Anerkennung […]. Schlägt ihm diese fehl, wer ist unglücklicher als der Brotgelehrte? Er hat umsonst gelebt, gewacht, gearbeitet; er hat umsonst nach Wahrheit geforscht, wenn sich Wahrheit für ihn nicht in Gold, Zeitungslob, in Fürstengunst verwandelt.« Ersetzt man die letzten Begriffe durch Dotationen, gute Rankingplätze und Anerkennung durch die Industrie, hat man ein präzises Bild des aktuellen Zustandes.
    Uneingeschränkt gilt, was nach Schiller diese Entwicklung für das Selbstverständnis des Wissenschaftlers bedeutet: »Beklagenswerter Mensch, der mit dem edelsten aller Werkzeuge, mit Wissenschaft und Kunst, nichts Höheres will und ausrichtet als der Taglöhner mit dem schlechtesten! Der im Reiche der vollkommenen Freiheit eine Sklavenseele mit sich herumträgt!« 50 Die aktuelle Dominanz der Sklavenseelen im Wissenschaftsbetrieb zu durchbrechen ist eine Utopie. Viel wäre gewonnen, wenn man sich in der Wissensgesellschaft mit Schiller hin und wieder daran erinnerte, was Freiheit und Wissenschaft einmal miteinander zu tun gehabt haben.

6.
Bologna: Die Leere des europäischen Hochschulraumes
    D IE Misere der europäischen Hochschulen hat einen Namen: Bologna. Die von den europäischen Bildungsministern 1999 in Bologna vereinbarte Umstellung des postsekundären Bildungssektors auf ein nur vordergründig dem angloamerikanischen Modell nachempfundenes dreistufiges System entsprang der Idee, einen einheitlichen europäischen Hochschulraum zu schaffen, um die Vergleichbarkeit und damit die Mobilität von Wissenschaftlern und Studenten zu erhöhen. Was auf der Ebene der politischen Einigungsbestrebungen durch den abgelehnten europäischen Verfassungsvertrag kläglich gescheitert ist, könnte wenigstens auf jener der Bildung etabliert werden und womöglich einen Motor für einen weiteren Integrations- und Erweiterungsanlauf bieten, zumal sich zu diesem Bologna-Prozeß zahlreiche Staaten bekennen, die ihrer Mitgliedschaft bei der EU noch harren. Was auf den ersten Blick plausibel erscheint – die Schaffung eines einheitlichen europäischen Hochschulwesens –, erweist sich im konkreten jedoch als ein weiteres Moment im Prozeß der Verabschiedung der europäischen Universitätsidee. 51
    Initiiert wurde dieser Prozeß durch die gemeinsame Sorbonner Erklärung der Bildungsminister Frankreichs, Deutschlands, Großbritanniens und Italiens vom Mai 1998, in der ein einheitlicher Rahmen des europäischen Hochschulwesens zur Erleichterung der Anrechnung von Studien vorgeschlagen wurde. Dabei wurden noch zwei Zyklen, Studium und Postgraduiertenstudium, als wahrscheinliche Zukunftsentwicklung angenommen, wobei das Studium als »angemessene berufliche Qualifikation« definiert wurde, an das sich ein kürzeres »Master-Studium« oder ein längeres »Promotionsstudium« anschließen können sollte. Daraus entwickelte sich eine dreigliedrige Struktur, die Bachelor- und Masterstudien (Bakkalaureat und Magisterium) als Voraussetzung für ein daran anschließendes Doktoratsstudium oder PhD-Programm erachtet.
    Verstand sich die Sorbonner Erklärung noch als eine Absichtserklärung, so versteht sich der ohne große Diskussion davon abgeleitete Bologna-Prozeß als eine für alle verbindliche Neuordnung des europäischen Hochschulwesens, die einer Selbstaufgabe der im EU-Recht verbrieften nationalstaatlichen Kompetenz in Bildungsfragen gleichkommt. Es stellt sich nämlich die Frage, ob die europaweite Vereinheitlichung von Studienordnungen, ungeachtet der unterschiedlichen akademischen Kulturen der einzige Weg ist, um Mobilität und wechselseitige Anerkennung zu fördern. Bedenkt man, daß die Mobilitätsprogramme der EU für Studierende von etwa zehn Prozent eines Jahrgangs genutzt werden, und stellt man in Rechnung, daß sich nicht zuletzt aus ökonomischen Gründen diese Zahl nicht wesentlich erhöhen wird, da für die verschulten Bachelor-Studien kaum Zeit für Auslandssemester bleiben werden, dann entpuppt sich das Mobilitätsargument als ziemlich schwach. Wegen einer kleinen Minderheit von Studierenden alle Staaten zu zwingen, ihr Hochschulwesen einer kostenintensiven Umstrukturierung zu unterwerfen, scheint dann doch höchst fragwürdig. Hohe Mobilität und eine wechselseitige Anrechnung von Studien hätte man auch durch andere,

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