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Theorie der Unbildung: Die Irrtümer der Wissensgesellschaft (German Edition)

Theorie der Unbildung: Die Irrtümer der Wissensgesellschaft (German Edition)

Titel: Theorie der Unbildung: Die Irrtümer der Wissensgesellschaft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Konrad Paul Liessmann
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Hochglanzbroschüren, in denen Universitäten und Hochschulen, angeblich um im Wettbewerb bestehen zu können, ihre Leistungen, Angebote, Vernetzungen, Perspektiven und Projekte anpreisen, immer aufwendiger, hochtrabender und nichtssagender: Potemkinsche Dörfer, allesamt!
    Eine besondere Pointe der Evaluation von wissenschaftlichen Einrichtungen besteht darin, daß sie ein Verfahren pervertiert, welches der modernen Wissenschaft ohnehin inhärent ist. Diese konnte überhaupt nur als ein sich selbst evaluierendes, das heißt bewertendes Verfahren entstehen und sich behaupten. Die Idee neuzeitlicher Wissenschaft liegt in der Öffentlichkeit des vernünftigen Diskurses, liegt in der Möglichkeit der permanenten Kritik. Was ein Gedanke, eine Hypothese, eine Theorie, ein Fund, eine Beobachtung, ein Experiment taugen, erweist sich in der Auseinandersetzung mit den Kritikern, erweist sich im Blick auf die Sache, um die es geht. Kaum ein Evaluator hat aber auch nur einen der Texte gelesen, die er evaluieren soll. Gerade weil die angebliche Qualitätssicherung besessen ist vom Fetisch der Quantifizierung und nur das gelten lassen möchte, was in Statistiken, Diagrammen und Reihungen von 1 bis 100 seinen beschränkten Ausdruck finden kann, wird sie ihr Ziel immer verfehlen.
    Dahinter steckt aber mehr. Denn der enge Zirkel von Forschungseinrichtungen, Antragstellern, Gutachtern, Evaluationsagenturen und Geldgebern funktioniert zunehmend als in sich geschlossener Kreis, der dem herrschenden Modell der akademischen Elitenbildung entgegenkommt. Wissenschaft hört – paradox genug – gerade durch die angeblich im Namen des öffentlichen Interesses forcierten Evaluationen auf, ein im Sinne der Aufklärung öffentliches Gut zu sein. Experten bewerten Experten, die Experten bewerten. Früher nannte man solches einen Klüngel. Natürlich: Zitationskartelle gab es immer schon – aber gegenwärtig strukturieren diese nicht nur die Karrieren ihrer Mitglieder, sondern beeinflussen auch die Finanzierung und damit die Existenz ganzer Forschungsrichtungen.
    Evaluationen haben ihren Hintersinn. Die aus der Frühzeit der Evaluation stammende Praxis, Institute durch Angehörige anderer Institute derselben Disziplin evaluieren zu lassen, hat sich aus begreiflichen Gründen nicht als wirklich zielführend erwiesen. Es ist nicht gerade logisch, einerseits ständig den Wettbewerb zu beschwören und andererseits die Konkurrenten in diesem Wettbewerb selbst darüber befinden zu lassen, wer nun die Nase vorn hat. Nichts naheliegender, als, wie alles in der Welt, auch das Evaluieren auszulagern. Zunehmend bieten private oder halbprivate Agenturen, die sich oft in einem Naheverhältnis zu Unternehmensberatungen oder Controllinginstituten befinden, ihre gar nicht selbstlosen Dienste an. Damit kommt die Logik der evaluierenden Vernunft an ihr Ziel. Da durch die Evaluationen subkutan wissenschaftliche Standards und Verfahren gesteuert werden können, ist es möglich, diese von außen zu beeinflussen und direkt den Interessen von Politik und Wirtschaft unterzuordnen. Dazu bedarf es weder eines Diktats noch der Zensur, weder Fürstenwillkür noch ein totalitäres Regime gefährden heute die Freiheit der Wissenschaft, sondern die Außenkontrolle erfolgt durch das feinmaschige Netz der Bewertungssysteme. Daß damit öffentliche Gelder, die der Forschung und Lehre zukommen sollten, in immer höherem Ausmaß in private Unternehmen fließen, ist für manche sicher ein beabsichtigter Nebeneffekt des allgemeinen Willens zur Bewertung.
    Im Jahre 2005 gedachten die akademische Welt und die gebildete Öffentlichkeit mit angemessenem Respekt des 200. Todestages von Friedrich Schiller. In seiner Jenaer Antrittsvorlesung von 1789, Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte?, hatte Schiller den Gelehrten, dem es um die Erkenntnis der Wahrheit geht, von jenem Brotgelehrten unterschieden, dem es nicht um den Wert der Wahrheit, sondern einzig und allein um die Bewertung seiner Tätigkeit geht. Und die Beschreibung, die Schiller von diesem Brotgelehrten gibt, paßt verblüffend und erschreckend genau zugleich auf den neuen Typ des effizienzorientierten Wissenschaftsmanagers, der streng zwischen ergebnisorientiertem nützlichem Wissen und jenen Studien, die »den Geist nur als Geist vergnügen«, trennt, letztere zu einer verzichtbaren Sache erklärt und »seinen ganzen Fleiß« nach jenen Forderungen einrichtet, die »von dem künftigen Herrn seines

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