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Theorie der Unbildung: Die Irrtümer der Wissensgesellschaft (German Edition)

Theorie der Unbildung: Die Irrtümer der Wissensgesellschaft (German Edition)

Titel: Theorie der Unbildung: Die Irrtümer der Wissensgesellschaft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Konrad Paul Liessmann
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einfachere Maßnahmen erreichen können. Letztlich ging es wohl gar nicht um Mobilität. Diese dient, weil sie mittlerweile einen Wert darstellt, dem ebensowenig widersprochen werden kann wie der Internationalisierung, als vordergründiger Rechtfertigungsgrund für eine Vereinheitlichung und Normierung des europäischen Hochschulwesens, die sich als seine Enteuropäisierung erweisen könnte.
    Die Intention ist klar. Durch die verpflichtende Einführung dreijähriger Bachelor-Studien für alle Fächer sollen die Universitäten die Aufgabe erhalten, primär eine »protowissenschaftliche Berufsausbildung« zu leisten. Das erscheint sinnvoll für Länder, die kein differenziertes berufsbildendes Schul- und Fachhochschulwesen kennen. Für andere Länder bedeutet das Bakkalaureat aber eine an sich völlig unnötige Umstrukturierung der Universitätslandschaft. Auf kaltem Wege wird der Sinn der Universität als Stätte der wissenschaftlichen Berufsvorbildung, die ihre Voraussetzung in der Einheit von Forschung und Lehre hat, liquidiert.
    Die flächendeckende Einführung berufsorientierter Kurzstudien wird das Bild der Universität nachhaltiger verändern als alle anderen Reformen zuvor. Der wissenschaftspolitische Sinn des Bakkalaureats, der es für viele Bildungsminister so attraktiv erscheinen läßt, liegt auf der Hand: Verkürzung der Studienzeit und Hebung der Akademikerquote. Polemisch ausgedrückt: Der Bachelor ist der Studienabschluß für Studienabbrecher. Wer bislang mangels Qualifikation an einer Diplomarbeit scheiterte, wird nun zum Akademiker befördert. Auf dem Papier, das heißt in den OECD-Statistiken, werden sich die zahlreichen Bachelors dann auch ziemlich gut machen. Der Sache nach kann es aber nur folgendes bedeuten: Entweder nehmen die Universitäten diesen Auftrag ernst und werden in erster Linie zu Anbietern von wirtschaftsnahen und praxisorientierten Kurzstudien, die entsprechend strukturiert, normiert und verschult sein werden – was mittelfristig aus Universitäten Fachhochschulen werden läßt; oder die Universitäten machen nur der Form nach mit und entlassen schlecht qualifizierte Beinaheakademiker als Graduierte auf einen Arbeitsmarkt, der bald erkennen wird, wes Geistes Kinder sich da tummeln.
    Zwar schleicht sich mitunter der Verdacht ein, daß der Wunsch nach einem vorgezogenen Studienabschluß auch von der Wirtschaft kommt, die ihre eigenen Ausbildungskosten minimieren und die Universitäten als Zulieferungsbetriebe in Dienst nehmen möchte, womit sie sich wohl selbst am meisten schaden würde. Fraglich ist auch, ob für die geistes- und kulturwissenschaftlichen Studien, deren Berufsperspektiven sich ständig ändern, solche Kurzstudien überhaupt sinnvoll sein können, vor allem dann, wenn sie nach jenen Moden ausgerichtet sind, die das Heil der Geisteswissenschaften in Kombinationen mit Wirtschaft, Medien und den Biotechnologien sehen.
    Wie auch immer diese Kurzstudien aussehen mögen, den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit und Reflexivität werden sie nicht mehr stellen können. Da diese Kurzstudien rasch, kostensparend und ohne Zeitverlust absolviert werden sollen, ist klar, daß für Studenten, die nicht mehr als einen Bachelor anstreben, die vielgerühmte Internationalisierung ein leeres Versprechen bleiben wird. Erst die an den Bachelor anschließenden Masterprogramme werden für eine Minderheit der Studenten jene Form von Wissenschaftlichkeit offerieren, die für Universitäten schlechthin bestimmend hätte sein sollen. Da aber diese Masterprogramme in hohem Maße vorstrukturiert und, vor allem im Bereich der Gesellschafts- und Humanwissenschaften, ebenfalls an zeitgeistigen Parametern orientiert sein werden, muß auch hier damit gerechnet werden, daß die Freiheit der Lehre zu den ersten Opfern des Bologna-Prozesses zählen wird. Im Idealfall schließt für Absolventen von Masterprogrammen ein strukturiertes Doktoratsprogramm an, das mit einem dem US-System nachempfundenen PhD belohnt wird. Für karrierebewußte Jungwissenschaftler empfiehlt es sich, dieses Doktorat an einem Exzellenzzentrum oder einer ausländischen Eliteuniversität zu absolvieren, was dazu beitragen wird, daß die Einheit von Forschung und Lehre aus den Universitäten insgesamt verschwinden und nur noch in besonderen Programmen und Abteilungen spürbar sein dürfte.
    Es ist abzusehen, daß für wissenschaftliche und universitäre Karrieren in naher Zukunft der PhD die maßgebliche Qualifikationshürde sein wird;

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