Theorie der Unbildung: Die Irrtümer der Wissensgesellschaft (German Edition)
aufgezwungenen Dienstvertrags. Davon möchten offenbar die europäischen Bildungsreformer nichts mehr wissen.
Der Gedanke zum Beispiel, daß eine Wissenschaft deshalb eine Wissenschaft ist, weil sie eine spezifische Systematik und Methodik enthält, die es eben nicht erlaubt, beliebige Elemente herauszuschneiden und mit anderen zu kombinieren, scheint ihnen völlig fremd geworden. Alte Studienordnungen, die etwa zwischen Hauptfach und Nebenfach unterschieden und deren Koppelung vorschrieben, wußten noch etwas davon und intendierten eine Interdisziplinarität, die wenigstens die Beherrschung eines Faches zur Voraussetzung sinnfälliger Kombinationen machte.
Es stimmt schon: Studien werden immer irgendwie organisiert, und sie haben in den letzten Jahrzehnten schon so manche curriculare Mode erlebt. Ob Lehr- oder Lernziele, workloads oder Semesterstunden, Module oder Fächer den Ton angeben, mag dabei sogar nebensächlich sein. An den Organisationsformen und dem dazugehörigen Vokabular läßt sich dann in der Regel auch wenig über die tatsächlich geübte Praxis erfahren, schon gar nicht etwas über die Qualität der Studien, aber doch einiges über den Geist, der dazu die normativen Vorstellungen liefert. Gegenwärtig ist es ein Ungeist. Ein Blick in die Vorlesungsverzeichnisse modularisierter Studien zeigt, daß nicht mehr die Sache, sondern Leistungspunkte, Modulzugehörigkeiten und Anrechnungsvarianten im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen; von Neugier oder gar Begeisterung für die Wissenschaft wird unter diesen Voraussetzungen wenig zu spüren sein. Im Jonglieren mit Leistungspunkten und Modulkombinationen werden die Studenten aber notgedrungen eine wahre Meisterschaft entwickeln.
Neben dem Chaos, das solche Umstellungsprozesse, vor allem, wenn sie, wie in Österreich und zum Teil auch in Deutschland, in abenteuerlich knappen Zeiträumen durchgepeitscht werden, für die interne Organisation von Universitäten darstellen, läßt sich an der Bologna-Ideologie einiges über den Verfall der Universitätsidee und der damit verbundenen Bildungskonzepte überhaupt ablesen. Seit in den frühen sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts die Bildungskatastrophe ausgerufen wurde und seit den anschließenden Reformattacken hatten die Universitäten keine Chance mehr, sich auf ihre eigentlichen Aufgaben zu besinnen.
Zur Erinnerung: Die Innovationsschübe der Moderne, deren Zentren die Universitäten wurden, begannen in der Neuzeit mit einem Konzept von Wissenschaft, das diese aus allen politischen, religiösen, aber auch merkantilen Bindungen und Verpflichtungen befreien wollte. Darauf gründete der Wissenschaftsoptimismus der Moderne: Die ihrer eigenen Logik überlassene Forschung, die keinerlei Rücksicht nehmen muß, sollte der Garant für den zivilisatorischen Fortschritt sein.
Dieses Bekenntnis zu einer bedingungslosen Wissenschaftskultur als Fundament und Inhalt der Universität wird auch in der berühmten Vorlesung von Friedrich Wilhelm Joseph Schelling über die Methode des akademischen Studiums aus dem Jahre 1802 ausgesprochen. Nach Schelling sollte sich an der Universität die Idee des Wissens selbst realisieren, und zwar »die Idee des an sich selbst unbedingten Wissens, welches schlechthin nur Eines und in dem auch alles Wissen nur Eines ist, desjenigen Urwissens, welches, nur auf verschiedenen Stufen der erscheinenden idealen Welt sich in Zweige zerspaltend, in den ganzen unermeßlichen Baum der Erkenntnis sich ausbreitet« 53 .
Natürlich, das ist Idealismus. Aber der Gedanke, daß sich die Moderne einem Begriff des wissenschaftlichen Wissens verdankt, der erst in der Summe der Disziplinen und Richtungen seine entscheidende Gestalt erhält, vermag noch immer zu illustrieren, was Universität ihrem Begriff nach bedeutete: gerade nicht das beziehungslose Nebeneinander von Fakultäten und Fächern, Methoden und Projekten, Zielen und Gegenständen, sondern das durch ein gemeinsames Wissenskonzept gestiftete Miteinander derselben. Daß nur noch wenige große Universitäten diesem Anspruch nachkommen können, ließe sich als eine Verpflichtung und Chance begreifen. Gerade das Gegenteil ist der Fall: Selbst große Universitäten reduzieren unter vordergründig ökonomischen Gesichtspunkten und um dem aus der Unternehmensideologie stammenden Phantasma der Profilbildung zu gehorchen ihre Forschungsschwerpunkte und ihre Studienangebote, und private oder auch öffentliche Universitätsneugründungen definieren diese
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