Theorie der Unbildung: Die Irrtümer der Wissensgesellschaft (German Edition)
ohnehin nur mehr als Ausbildungsstätte für einen extrem schmalen Bereich.
Mag man über die Berechtigung von Medizinuniversitäten noch streiten, dokumentieren Skurrilitäten wie eine »Universität für Wirtschaftsethik« oder eine »Universität für Psychotherapie« – ungeachtet der Qualität der speziellen Ausbildung, die an solchen Orten angeboten wird – nur, daß der Begriff der Universität vollkommen korrumpiert ist. Und dort, wo unternehmensnahe Universities aller Art wie Pilze aus dem Boden schießen, muß klar sein, daß diese Institutionen mit dem, was Universitäten einmal waren, nur noch den Namen gemeinsam haben. Auch die Gründung sogenannter Eliteuniversitäten, die sich bevorzugt in einem schmalen, aber als zukunftsträchtig erachteten Gebiet technisch-naturwissenschaftlicher Forschung ansiedeln, gehorcht einem Etikettenschwindel. Es fragt sich, warum man Forschungsinstitute nicht Forschungsinstitute und Fachhochschulen nicht Fachhochschulen nennen kann, sondern alles noch vom Nimbus einer Universität zehren will, deren Abschaffung gleichzeitig das erklärte Ziel fast aller europäischen Bildungspolitiker ist.
Schelling glaubte noch, daß dieses Miteinander allen, die an diesem Wissen als Forschende, Lehrende und Lernende teilhatten, durch eine Philosophie zu geben sei, die Voraussetzungen, Methoden und Akzentuierungen dieser Wissensformen in bezug auf das Ganze des Wissens zu denken gehabt hätte. In Österreich hatte das alte »Philosophicum«, das vor seiner ersatzlosen Streichung zu einer Formalität degradiert worden war, versucht, diesen Gedanken aufzubewahren.
Weil das an einer Universität erarbeitete und vermittelte Wissen ein wissenschaftliches Wissen ist, Wissenschaft selbst aber eine nicht beliebige Form der Hervorbringung und Entwicklung von Wissen darstellt, ließe sich diese ursprüngliche Prämisse von Schelling sogar in eine moderne Fassung bringen: Universitäre Bildung bedeutete demnach, vor aller Spezialisierung in einem Fach einmal grundlegend in die Tradition, Problematik und Gestalt des neuzeitlichen Wissenschaftsbegriffes eingeführt worden zu sein. In diesem Sinn wäre eine Neufassung eines verpflichtenden Philosophicums, das eine wissenschaftstheoretische, eine wissenschaftshistorische und eine wissenschaftsphilosophische Ausrichtung hätte haben können, ein erster Schritt zur Wiedergewinnung der Universitas gewesen. Der flächendekkende Verzicht darauf, solche Fragen auch nur zu stellen, und alles auf Verfahren der bürokratischen Vereinheitlichung zu reduzieren, zeigt, wie weit die Architekten des europäischen Hochschulraumes von dem, was eine europäische Universität einmal bedeutete, der Idee und der Sache nach schon entfernt sind.
Der im Anschluß an Schelling wichtigste Traditionsstrang der Universität der Moderne ist gewiß die neuhumanistische, von Humboldt formulierte Einheit von Forschung und Lehre als das wesentliche Bestimmungsmerkmal der Universität gegenüber anderen Stätten der Forschung und der Ausbildung. In seinem Memorandum Über die innere und äußere Organisation der höheren wissenschaftlichen Anstalten in Berlin von 1809/10 war es Humboldt, was oft übersehen wird, um eine Neuordnung der Wissenslandschaft überhaupt gegangen. Er unterschied dabei drei Institutionen: die »Akademien« als reine Stätten der Forschung; die »Universitäten«als Stätten der Forschung und Lehre und als Organisationen, die in »engerer Beziehung auf das praktische Leben und die Bedürfnisse des Staates« stehen; und schließlich die von Humboldt sogenannten »leblosen Institute«, also Archive, Museen, Bibliotheken etc., die sowohl von Akademien als auch von Universitäten benutzt und kontrolliert werden sollten.
Von diesen wissenschaftlichen Instituten sind dann nach Humboldt die Gymnasien und die Spezialschulen zu unterscheiden, welche für die humanistische Grundausbildung beziehungsweise für gehobene berufliche Ausbildung zuständig sind. Trotz der von Humboldt erkannten und auch beförderten Nähe der Universität zur Berufsausbildung lagen der Sinn und das Wesen einer Universität für ihn nicht ausschließlich in der beruflichen Bildung, sondern vorrangig in der Arbeit an der Wissenschaft: in ihrer Entwicklung und in ihrer Vermittlung. Das und nur das unterscheidet die Universitäten von anderen Forschungseinrichtungen auf der einen und von allen anderen Schulen auf der anderen Seite: »Das Verhältnis von Lehrer und Schüler wird dadurch ein
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