Theorie der Unbildung: Die Irrtümer der Wissensgesellschaft (German Edition)
Wissenschaftler, die noch vor ein paar Jahren glaubten, gesellschaftliche Entwicklungen kritisch auf den Begriff bringen zu können, angesichts dummdreister Sprechblasen aus dem Jargon des New Management nahezu widerstandslos kapitulieren. Daß es niemand mehr auffällig findet, wenn Universitätslehrer zur Nachbesserung ihrer hochschuldidaktischen Fähigkeiten zu einer Unternehmensberaterin mit abgebrochenem Psychologiestudium geschickt werden, daß es niemand anstößig findet, wenn Kandidaten für eine Professur oder Assistentenstelle sich im Assessment Center produzieren müssen, daß niemand aufschreit, wenn die letzten Ladenhüter der Unternehmensideologien den Universitäten als der neueste Schrei verkauft werden – vom Blended Learning über Diversity Management bis hin zur »Wissensbilanz« –, sagt eigentlich alles über die Widerstandskraft der institutionalisierten Wissenschaft gegenüber dem Zeitgeist: Sie ist so gut wie nicht vorhanden.
Die Tragödie, die sich angesichts der Ideologisierung und Politisierung der Universitäten im vergangenen Jahrhundert ereignete, wiederholt sich gegenwärtig angesichts ihrer Ökonomisierung: aber als Farce. Die großen Worte, die die Durchsetzung des europäischen Hochschulraumes begleiten, können über diese Farce nicht hinwegtrösten. Wohl aber könnte es sein, daß am Ende des Bologna-Prozesses die Farce doch wieder zu einer gesellschafts- und bildungspolitischen Tragödie wird.
7.
Elitenbildung und Gegenaufklärung
W ENN alles gut geht, wird es in wenigen Jahren in Europa von wissenschaftlichen Eliteeinrichtungen, Exzellenz-Clustern, Institutes of Technology, Spitzenforschungsstätten und Weltklasseuniversitäten nur so wimmeln. Nachdem die EU ein European Institute of Technology (EIT) ankündigt, ausgewählte deutsche Universitäten mit Exzellenzprogrammen aufgerüstet werden und in der ehemaligen Nervenheilanstalt Maria Gugging in Niederösterreich binnen weniger Jahre unter dem Namen Institute of Technology and Science Austria (ISTA) gleich eine ganze Eliteuniversität herbeigezaubert werden soll, muß man sich um die Zukunft des Kontinents keine Sorgen mehr machen. Harvard, geht es nach dem Willen der europäischen Bildungsplaner, wird bald alt aussehen, das MIT zu einer regionalen Größe herabsinken und der brain drain von Singapur ins Alpenvorland atemberaubende Dimensionen annehmen. Endlich wettbewerbsfähig geworden, wird sich die neue europäische Wissenschaftselite als dynamischer Kern jener privilegierten Schicht von »Symbolanalytikern und Wissensarbeitern« herauskristallisieren, denen nach den utopischen Vorstellungen so mancher Modernisierungseuphoriker die Zukunft gehört. 58
Jenseits des ideologischen Wortgeklingels läßt sich in der Tat eine bemerkenswerte Verschiebung im bildungspolitischen Diskurs beobachten. Begriffe wie Elite oder Exzellenz, die seit dem Zweiten Weltkrieg im Vokabular der Bildungsexperten nicht vorkamen, haben sich binnen weniger Jahre nicht nur einen festen Platz in deren Repertoire erworben, sondern wurden auch mit einer Aura umgeben, die eine Kritik etwa am Konzept von Eliteinstituten kaum mehr zulässig erscheinen läßt. Eine auf Rekorde und Spitzenleistungen versessene Gesellschaft kann gar nicht anders, als sich auch Wissenschaft nach eben diesen Prinzipien organisiert vorzustellen, und die Berichte über Big Science und weltweit umworbene Spitzenforscher erinnern immer öfter an die Hintergrundreportagen über die Transfersummen in der Champions League.
Daß dabei in der Regel an Naturwissenschaft und Technik gedacht wird, an Klonforscher, Molekularbiologen, Quantenmechaniker, Biomediziner und Nanotechniker, gehört zum Bild einer Wissenschaft, deren Bedeutung eng mit den aufzuwendenden Mitteln und den anvisierten Profiten korreliert. Den Geisteswissenschaften wurde es zum Verhängnis, daß sie ohne großen materiellen Aufwand betrieben werden können. Wenn die Eintreibung von Drittmitteln zum Qualitätskriterium einer Wissenschaft wird, wird der zum Versager, der solche Mittel gar nicht benötigt, weil ein Kopf zum Denken genügt. Ein kleines geisteswissenschaftliches Institut, das kaum mehr kostet als ein Professor und seine Assistenz, aber nur wenige Absolventen aufzuweisen hat, muß deshalb aus Kostengründen geschlossen werden; die paar hundert Millionen Euro, die für ein schlecht geplantes Technologieinstitut so nebenbei in den Sand gesetzt werden, fallen demgegenüber nicht weiter ins Gewicht.
Was an
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