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Theorie der Unbildung: Die Irrtümer der Wissensgesellschaft (German Edition)

Theorie der Unbildung: Die Irrtümer der Wissensgesellschaft (German Edition)

Titel: Theorie der Unbildung: Die Irrtümer der Wissensgesellschaft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Konrad Paul Liessmann
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anderes als vorher. Der erstere ist nicht für den letzteren, Beide sind für die Wissenschaft da.«
    Humboldt forderte also die gleichberechtigte Partnerschaft von Lehrenden und Studierenden im Geiste der Wissenschaft, wohl wissend, daß dazu »Freiheit und Einsamkeit« ebenso notwendig sind wie »ein ununterbrochenes, sich immer selbst wieder belebendes, aber ungezwungenes und absichtsloses Zusammenwirken« aller an diesem Prozeß Beteiligten. Humboldts Ideal war nicht der ihm oft unterstellte weltfremde Gelehrte im Elfenbeinturm. Aber welche der heute zu ergebnisorientierten Forschungsschwerpunkten und Vernetzungen abkommandierten Wissenschaftler könnten ihre Kommunikation mit den Kollegen noch als ungezwungenes und absichtsloses Zusammenwirken beschreiben? Die Voraussetzung universitärer Bildung – und damit war der Kreis der Studierenden selbstredend eingeschränkt – ist für Humboldt letztlich das aufrichtige Interesse an der Wissenschaft und ihrer Weiterentwicklung: »Sobald man aufhört, eigentlich Wissenschaft zu suchen, oder sich einbildet, sie brauche nicht aus der Tiefe des Geistes geschaffen, sondern könne durch Sammeln extensiv aneinandergereiht werden, so ist Alles unwiederbringlich und auf ewig verloren.« 54
    Fraglos könnte man für dieses zentrale Bestimmungsstück der Humboldtschen Universität, die Einheit von Lehre und Forschung, zeitgemäße Realisationsformen finden, die dem komplexen Organisationsgrad moderner Wissenschaften und den unterschiedlichen Wissenschaftskulturen angemessen wären. Tatsächlich läßt sich jedoch am Umgang damit eine Chronique scandaleuse der Universitäten ablesen. So hat die einseitige Beurteilung von Universitätskarrieren nach Forschungsleistungen und die Degradierung der Lehre zu einer ungeliebten Tätigkeit diese traditionelle Einheit im Inneren sabotiert. Andererseits mutierte die Universität über weite Strecken seit den Bildungsreformen der siebziger Jahre zu einer Höheren Schule, die Wissen zwar weitergibt, aber nicht mehr in ausreichendem Maße selbst hervorbringt, und wenn, dann in mehr oder weniger strikter Trennung von der Lehre.
    Die wiederholt erhobene Forderung, die Forschung deshalb überhaupt auszulagern und die Universitäten auf die Lehre festzulegen, stellt deshalb eine permanente Bedrohung der Universität dar. Ein amerikanischen Verhältnissen nachempfundenes Modell, nach dem nur noch wenige Universitäten, die mit entsprechenden Mitteln ausgestattet werden, als »Forschungsuniversitäten« definiert werden, der Großteil der Universitäten aber auf Aus- und Weiterbildungsfunktionen reduziert wird, zeichnet sich am Horizont des europäischen Bildungsraumes ab. 55
    Was die Auflösung der Einheit von Forschung und Lehre betrifft, legt das Bologna-Modell eine Lösung nahe, die die Universitäten von innen her demoliert. Nur zu deutlich ist, daß für die Bachelor-Studiengänge, in denen kaum wissenschaftliche Reputation erworben werden kann, forschende Lehre nicht mehr vorkommen wird. Die Exzellenzprojekte, die in Deutschland an den Universitäten gefördert werden sollen, und die Eliteuniversität, die in Österreich gegründet wird, setzen überhaupt erst nach einem abgeschlossenen Magister- oder Doktoratsstudium an. Die Idee der Einheit von Forschung und Lehre, die einstens die Universität definieren sollte, wird also erst nach der Universität realisiert. Wer von den Professoren auf sich hält, wird danach trachten, in solchen Graduiertenprogrammen tätig zu werden. Die Zweiklassenuniversität zeichnet sich auch unter dem Gesichtspunkt der Lehre als Konsequenz der Bildungsreformen ab.
    Damit stellt sich die Frage nach dem Interesse der Öffentlichkeit, die dieses System mangels privater Investoren in hohem Maße finanzieren muß. Wilhelm von Humboldt hatte an den Staat in bezug auf die Universitäten noch klare Forderungen gestellt: Der Staat hat erstens die »Pflicht«, die Mittel für die Bearbeitung und Entwicklung der Wissenschaft »herbeizuschaffen«; zweitens hat er die Oberaufsicht über die wissenschaftlichen Institute, er hat dafür zu sorgen, daß die Universitäten mit geeigneten Lehrern ausgestattet werden und daß es zwischen den Universitäten einerseits und den Akademien und Archiven andererseits zu einem lebendigen Austausch und einer fruchtbaren Konkurrenz kommt; und drittens hat sich der Staat bewußt zu sein, daß er darüber hinaus im Bereich der Wissenschaft nichts bewirken kann. 56 Auch darin spricht die

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