Theorie der Unbildung: Die Irrtümer der Wissensgesellschaft (German Edition)
der neuen Konzentration von Exzellenz-, Schwerpunkt- und Elitenbildung so stört, ist vorab weniger die Idee, daß ausgezeichnete Leistungen in der Wissenschaft angestrebt und nach bestem Wissen und Gewissen unterstützt werden sollen, sondern ein dahinter stehender Ungeist, der letztlich nicht Forschungsförderung betreibt, sondern Wissenschaftsplanung nach vorgegebenen Zielvorstellungen. Investiert wird in Bereiche, in denen man die Märkte der nahen Zukunft wittert, rund um den Erdball werden, sofern man das Geld dafür aufbringt, die »besten Köpfe« eingekauft, um einer Institution Gewicht und Reputation zu verleihen, angetrieben wird dies vom Diktat der Rankings. Alles andere gerät dabei notgedrungen ins Abseits.
Naiv wäre es zu glauben, daß solche Fixierung auf sogenannte Spitzenleistungen ohne Auswirkungen auf den Alltag der Universitäten bliebe. Die Forderung nach Elite und Exzellenz dient allzu schnell dazu, unliebsam gewordene Forschungsbereiche und Studienrichtungen zuerst finanziell auszuhungern und dann, wegen mangelnder Leistungsfähigkeit, zu schließen.
Der Gegensatz zur Elite war immer schon das gemeine Volk. In der Wissenschaft ist das nicht anders. Gegenüber den verhätschelten Spitzeninstituten stehen die verarmten Universitäten und Hochschulen, die mit dem Makel der Wettbewerbsunfähigkeit leben müssen. Gebannt starren nun alle auf die neuen Eliten, zu denen sie sich selbstredend zählen. Der Hang zur Elite und zur Etablierung von Eliteinstitutionen hat natürlich einen plausiblen Kern. Dieser läßt sich, leicht verkürzt, in einen einzigen Satz fassen: Nachdem die Universitäten durch die Reformen der letzten Jahrzehnte hoffnungslos ruiniert worden sind, müssen sie unter anderem Namen noch einmal erfunden werden.
Zumindest fällt auf, daß man alles das, was den Universitäten in den letzten Jahren zugemutet wurde, an den neuen Eliteeinrichtungen gerade nicht haben will. Natürlich werden diese per definitionem keine Massenveranstaltungen sein, und wenn überhaupt noch ausgebildet wird, dann nur solche Nachwuchswissenschaftler, die schon einen akademischen Abschluß vorzuweisen haben und sich durch herausragende Leistungen für eine weitere forschungsorientierte Ausbildung empfehlen. Die Verwaltung soll schlank sein, und selbstredend wird den Eliteforschern all das an Administration, Planungs- und Gremienarbeit, Mitteleinwerbung und Erstellen von Statistiken aller Art, was den Universitätsalltag so unerträglich macht, nicht zugemutet werden können; an den Elitestätten soll gelten, was man den Universitäten als Flausen ausgetrieben hat – daß Forschung vor allem eines braucht: Zeit und Freiheit.
Wer immer an einer Universität tätig ist, hat nur eine Sehnsucht: Einmal in Ruhe und ohne Zwang und Vorgabe das machen zu können, zu dem er angeblich auch angestellt worden ist: nachdenken, forschen, experimentieren, schreiben. Keine Wunder, daß die Vorworte wissenschaftlicher Veröffentlichungen voll sind von Danksagungen an jene Institutionen, Kollegs und Einrichtungen, die einen wenigstens für ein paar Monate vom Joch des universitären Alltags befreiten. Der ganze Ziel- und Leistungsvereinbarungsunsinn, der an den Universitäten seit geraumer Zeit sein Unwesen treibt und Erkenntnis als Produkt von Planung definiert, soll deshalb dort, wo die Elite werkt, nicht gelten.
Mit einem Wort: Zumindest was die Forschung betrifft, wird einiges von dem, was nach der Humboldtschen Idee eine Universität auszeichnet und was jahrzehntelang als unmodern, reaktionär, überholt oder nicht mehr zeitgemäß denunziert worden war, an der Eliteuniversität wieder reüssieren. Das muß diejenigen, die solche Verhältnisse wenigstens tendenziell an jeder Universität verankert wissen wollten und dafür als Reformverweigerer gebrandmarkt wurden, dann doch verärgern. Daß darüber hinaus reine Forschungsinstitute, an denen kaum gelehrt wird, als Eliteuniversitäten tituliert werden, stellt nicht nur einen Etikettenschwindel dar, sondern deutet auch an, daß man bereit ist, sich vom Konzept der Universität als einer wissenschaftlichen Anstalt, in der grundlegend geforscht und gelehrt wird, stillschweigend zu verabschieden.
Während die traditionellen Universitäten zu mehr oder weniger berufsqualifizierenden Ausbildungsgängen mit knappen Ressourcen heruntergewirtschaftet worden sind, rettet sich die halbierte humanistische Universitätsidee in die aus dem neoliberalen Geist des Wettbewerbs
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