Theres
Zorns. (Sie begreift nicht, warum sie sich überhaupt mit ihm eingelassen hat, einem simplen Klaus-Ersatz. Aber es war so, wie sie gerade zu »dem echten Format« gesagt hatte: Sie hatte niemanden für die Kinder gefunden. Für Kinder hatte er zumindest ein Händchen.)
HOMANN : Was ist passiert?
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Das ist passiert:
Kurz vor Ladenschluss, um 18.30 Uhr am 2. April 1968 , rennen die nun in Frankfurt angeklagten vier jungen Leute – Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Thorwald Proll und Horst Söhnlein – paarweise die soeben abgestellten Rolltreppen zweier der größten Frankfurter Warenhäuser hinauf: Baader und Ensslin im Kaufhaus Schneider , Söhnlein und Proll im Kaufhof , kaum hundert Meter weiter. Alle vier haben im Laufe des Tages die Örtlichkeiten gründlich erkundet: Baader und Ensslin sorgten dabei für gewisses Aufsehen beim Personal, wegen ihrer gelinde gesagt ungenierten Art, in den Betten der Möbelabteilung Probe zu liegen. Zum aktuellen Zeitpunkt gehen sie äußerst methodisch vor. Eine selbstgebastelte Bombe mit Zeitzünder wird auf einem altdeutschen Schrank (Modell »Bauernstil«) deponiert. Pünktlich umMitternacht detoniert der Brandsatz, (wenige Minuten später) gefolgt von einer gleichartigen Detonation im nahegelegenen Kaufhof .
Vermutliches Vorbild für das Attentat: Am 22. Oktober 1967 erklärte eine belgische Anarchistengruppe, sie übernehme die Verantwortung für den durch explosive Mittel ausgelösten Brand des Brüsseler Kaufhauses A L’innovation ; Resultat: 251 Menschen kommen in den Flammen um. Die Nachricht von diesem Ereignis fand in Berlin rasch Verbreitung, unterstützt durch das Flugblatt, das die anarchistisch orientierte Kommune I in den folgenden Tagen unter den Studenten der Freien Universität kursieren ließ. Wann brennen die Kaufhäuser in Berlin? lautete die Aufforderung. Dass die deutschen Anarchisten Frankfurt als Zielscheibe wählten, ist kaum verwunderlich, im Hinblick auf die Stellung der Stadt als finanzielles Zentrum der Bundesrepublik.
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Als hätte man aus der Geschichte nicht genug gelernt. Man steckt ein Gebäude in Brand und gibt dann einem anderen die Schuld. Was glauben diese jungen Leute eigentlich erreichen zu können?
Aber das ist es nicht, worum es hier eigentlich geht, Ulrike. Gib es zu.
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Worum es eigentlich geht: um »den Stand der Dinge«.
Beispielsweise: dass Klaus einfach anruft und diese Sache von ihr verlangt. Wenn sie protestiert, heißt es nur, sie widersetze sich aller Logik . Als sei jede Willensäußerung von ihrer Seite in seinen Augen lediglich ein Symptom psychologischer Blockierung . (Auch nach der Scheidung wirken die von ihr gehassten Unterdrückungsmechanismen weiter.) Doch auch Folgendes: dass er als Chefredakteur dieser Zeitschrift nur Augen für das Spektakuläre hat. Lege einen Mordbrand, erschieße einen Studentenführer – und dir ist der Platz in den Spalten sicher. Versucht sie aber sich anderen, praktischen und für den Zustand derBundesrepublik grundlegenderen Fragen zu nähern – wie der fortgesetzten Verdummung der daheim tätigen Frauen, den Zuständen in den zu Strafanstalten umfunktionierten Heimen für schwererziehbare Jugendliche oder der deutschen Flüchtlings- und Asylpolitik (ausgehend vom Fall Nirumand : Trennt man einen Mann von seiner Familie, gibt es zwei Verantwortliche: das Unterdrückerregime im Iran und das in Deutschland können sich die Hand reichen) –, gibt es plötzlich Widerstand. Es ist nicht spektakulär genug.
Und dann das mit dieser Ensslin …
Ulrike hat sie in deutlicher Erinnerung, vom SDS –Treffen nach dem Mord an Ohnesorg. Die Krakeelerin , wie sie die Frau bei dieser Gelegenheit genannt hatte. Die Frau war aufgestanden, bleich, Tränen in den Augen, die Wimperntusche lief ihr über die Wangen, und sie hatte deklamiert: Dies ist die Generation von Auschwitz – mit denen kann man nicht argumentieren! und immer so weiter: billige, wohlfeile, demagogische Formulierungen über die Not der Dritten Welt und die Napalmopfer in Vietnam, alles, was eine verwöhnte Pastorentochter an bürgerlichen Gewissensqualen für jene aufzubringen vermochte, die sich auf der Gesellschaftsleiter weiter unten befanden als sie selbst. Kein Klarblick, nur verwässerte Klischees. Und wirklich typisch, dass die Frau, bedröhnt von einer Überdosis halbverdauten Marcuses und mit ein paar fanatischen belgischen Anarchisten zum Vorbild, nach Frankfurt fahren würde, um Kaufhäuser in Brand zu stecken.
Die
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