Theres
Aversion manifestiert sich zum Beschluss (ich fahre nicht) ; und dann Klaus’ Stimme – sie reicht weiter zurück als bis zu diesem erregten Gespräch, ist sozusagen der »Gewissensdruck«, den er stets auf sie ausgeübt hat: Wenn du nicht fährst, wer fährt dann? Und wenn du nicht schreibst, wer wird es dann tun …? Sie schläft ein, eng an den Rücken eines Mannes gepresst, den sie nicht liebt, denkt: Es wird damit enden, dass ich doch fahre, so hat es immer geendet …
Hintergrundaufnahmen
(Wherever happy people congregate)
Bonn, Mai 1958. Die jungen Wüstenwanderer, die gesehen hatten, wie sich die pilzförmigen Wolken auf den Fernsehschirmen ausbreiteten und entsetzt waren über die Verwüstung, die sie anrichteten, versammeln sich zu einem großen Kongress. Unter den Teilnehmern ist auch die junge Frau mit der Sophie-Scholl-Frisur. Wir werden kämpfen, so lange die Atombombe unser Volk bedroht , sagt sie in das vor ihr auf dem Podium stehende Mikrofon; und natürlich lässt sich das sagen, solange man nichts anderes getan hat, als sein Unbehagen und seine Angst von großen, abstrakten Prinzipien herzuleiten. Ulrike hat den Geschwistern Scholl in die Augen gesehen und war tief beeindruckt. Offene, aufrichtige Gesichter, deren Blick der Kamera nicht ausweicht. Für die junge Studentin in Münster strahlen diese Gesichter in erster Linie Anständigkeit aus (ein Wort, das sie oft benutzen wird). Dennoch waren die beiden Geschwister, Sophie und Hans, nur deshalb festgenommen worden, weil sie diese Botschaft der Anständigkeit weitergeben wollten, waren nach einem summarischen Gerichtsverfahren zum Tode verurteilt und vom nazistischen Volksgerichtshof hingerichtet worden.
Ulrike hat das Datum, den 22.2.1943 , auf einem losen Blatt notiert und dieses in das schwarze Notizbuch eingelegt, das ihr Renate gegeben hatte. Dieses »Totenbuch« trägt sie jetzt bei sich: gleich einem Versprechen, einem Niemals wieder , das sie mit Tausenden anderer junger Deutscher derselben Generation teilt.
Doch auf der Bonner Konferenz treffen divergierende Kräfte, doppelte Loyalitätsbande aufeinander. Zwar steht die Mehrzahl hinter der Parole Gegen Atomwaffen in Ost und West ; beide, Adenauer und Ulbricht, müssen das Ihre zur gemeinsamen Friedenssache beitragen. Gegen dieses Gebot melden sich abweichende Stimmen, und derjenige,der die Belange dieser Andersdenkenden am hartnäckigsten vertritt, ist Klaus Rainer Röhl , Chefredakteur der, zumindest von außen betrachtet, ungebundenen Zeitschrift Studentenkurier (später konkret ): »Beiderseitige Abrüstung, das klingt gut, und zweifellos ist es ein erstrebenswertes Ziel; aber lasst es auf euch wirken«, sagt er, »hört, wie diese Botschaft gedeutet werden wird« – und als Publizist weiß er das natürlich besser als jeder andere: »Für diejenigen im Westen, die die sozialistischen Staaten stets verdächtigt haben, sich insgeheim Atomwaffen zu beschaffen, wird eine solche Parole wie ein nachträgliches Eingeständnis klingen: Es gibt also eine echte Gefahr, gegen die wir unsere Waffen richten müssen ; wo es doch trotz allem so ist, und das wissen alle, die hier versammelt sind, dass die Initiative zum Frieden als eine reale Möglichkeit zur Verbrüderung über die Grenzen hinweg, von den in der Presse schwarzgemalten und geschmähten Volksdemokratien im Osten ausgegangen ist. Wenn wir einem Text zustimmen, in dem wir ihre einseitige Unterwerfung zu unseren Bedingungen fordern, verleugnen wir, ja verhöhnen geradezu diejenigen, von denen diese mutige Initiative ausgeht.«
Sollte man darüber nachdenken? Am meisten aber denkt Ulrike über den Mann nach, der diese Worte ausspricht. Genau wie sie ist Röhl auf der anderen Seite geboren und aufgewachsen. Er sollte also Bescheid wissen. Am wichtigsten aber ist, dass er etwas formuliert hat, was ihr selbst bisher nie eingefallen ist. Sie wird von der Neugier getrieben, mit diesem Gedanken nähere Bekanntschaft zu schließen und auch mit dem Mann, der den Mut – oder die Frechheit – besaß, ihn zu äußern.
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(Ulrike zu Klaus, Klaus zu Ulrike)
ULRIKE (während sie an den Revers von Klaus’ schmal geschnittenem Tweedjacket fingert) : »Only quality can recognize quality.«
KLAUS : Das klingt wie ein Satz aus einem Film.
ULRIKE : Dann ist es ein Film, in dem wir beide mitspielen, Klaus.
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(Kleine deutsche Nachkriegsgeschichte)
CHRUSCHTSCHOW UND EISENHOWER IN CAMP DAVID
(»Peace in our time«)
WILD ENTSCHLOSSENER
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