Theres
Zentrum. Neben ihm (auf seiner rechten und linken Seite sitzend):
GUDRUN ENSSLIN, JÜRGEN BECKER, HOLGER MEINS, MONIKA BERBERICH, BRIGITTE ASDONK . Ein Stück rechts davon stehend (in schwarzer Anwaltsrobe): HORST MAHLER , zwei Finger auf der MARIGHELLA-BIBEL , den Blick zum Himmel erhoben. Zwei Bühnenarbeiter: KARL-HEINZ RUHLAND und MANFRED GRASHOF .
Zwei Statisten: IRENE GOERGENS und INGRID SCHUBERT .
Es ist Heiligabend. Baader hat Geschenke erhalten, eingepackt in schmuddeliges Zeitungspapier. Lauter harte Sachen. Er öffnet das erste und nimmt eine Walther PPK heraus, dieselbe Waffe, mit der Ohnesorg hingerichtet wurde. Er öffnet das zweite: eine Beretta, Kaliber 9,35 (deren Aufgabe bevorsteht), legt sie neben die Walther -Pistole. Öffnet das dritte: eine Smith & Wesson 38 Spezial (ebenfalls eine Waffe, die ihre Zukunft noch vor sich hat), legt sie beiseite, nachdem er den Lauf mit einem Stück Öltuch eingefettet hat. Halfter sind auch darunter. Er reiht die Dinge hintereinander auf, sagt:
BAADER : Ich habe diese Gaben gesehen und heiße sie gut.
Öffnet das letzte Päckchen und hebt einen lebendigen Aal heraus. Der Aal windet und schlängelt sich in seiner festgeschlossenen Hand. Er beugt sich vor und schaut auf das Zeitungspapier:
BAADER : Aha, hier steht es: Die Hamburger Schauspielerin Marlene Rahn hat einen neuen Beschützer gefunden, Benno Hoffman. Hier sieht man, wie er ihr hilft, den BH auszuziehen, während sie sich mit einem lebendigen Aal verprügeln lässt. Das also ist der AAL (zeigt ihn). Meine Freunde, ich bin nicht nur der dekadenten Bürgerlichkeit auf der Spur, ich habe auch deren letzte Reliquie gefunden. Nun, wer prügelt mich damit? Sagt mir. Wer prügelt mich?
(betretenes Schweigen)
… mit Ensslin
Im Nachhinein sollte sich Ulrike nur mit äußerster Schwierigkeit erinnern, wann »der erste Kontakt aufgenommen wurde«. Es hatte so viele Anzeichen gegeben.
August 1969. Diskussionsabend im Republikanischen Club. Beisammensein zum Thema APO -Kollektive und Staat . Unter den Referenten, Meinhof, die über die Notwendigkeit der Schaffung alternativer politischer Strukturen im Rahmen der antiautoritären Studentenbewegungen spricht. Anschließendes Diskussionsforum: Aufbruch mit der Zusicherung eines raschen erneuten Zusammentreffens. Auf dem Bürgersteig draußen: Bernward Vesper. Ich soll dich von Gudrun grüßen. (Und als Ulrike nichts sagt:) Ich soll dir ausrichten, dass es ihnen gut geht und sie die Zeit im Gefängnis nutzen, um zu lesen und sich zu vervollkommnen.
Früher Bescheid von Ensslin an Meinhof: Wir vervollkommnen uns. Zugleich aber ist es, als enthalte die Mitteilung eine versteckte Aufforderung: Mach du dasselbe.
Kann man dann behaupten, dass die Erinnerung an die beiden sie »verfolgte«?
Das ist zu viel gesagt. Dennoch waren sie da: als eine Art Schattenbild, dessen Konturen die Gerüchte Stück für Stück freilegten. Im Kreis um Kunzelmann und »Die Traumfakultät« glaubte man zu wissen, dass sich die beiden während des zeitweiligen Freigangs aus dem Gefängnis in der Pariser Wohnung von Régis Debray aufhielten. Spätere Gerüchte: Sie seien nach Deutschland zurückgekehrt, um das, was sie im Gefängnis gelesen und von Debray gelernt hatten, in die Praxis umzusetzen.In den Berliner Studentenkreisen kursierten verschiedene Auslegungen dieser Praxis.
Baaders Projekt : »das Metropolenproletariat zu politisieren«. (Nicht wie Ulrike die jungen Leute verstehen zu lassen, was es heißt, eine Revolution durchzuführen, sondern ihnen beizubringen, selbst zu revoltieren.) Praxis: Ermunterung zu systematischen Ausbruchsversuchen aus den Erziehungsheimen. (Erziehung der Jungen zur Verachtung der gesamten monopolisierten Konsumkultur: ihnen das Stehlen beizubringen – Autos, Fahrräder, Kleidung, Geld, Waffen –, alles, was sie brauchten, um ihre Freiheit, will sagen, die der Besitzlosen, zu verwirklichen.) Ergebnis: Die Gerüchte verdichtet in deutlichen Reaktionsmustern. ( Oktober 1969: Ulrike wird ein »alarmierender Bericht« unterbreitet, publiziert in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung . Schlagzeile: Rekordjahr für die Kriminalität in Süddeutschland . Es ist nicht schwer herauszufinden, wer die Statistik in die Höhe getrieben hat.)
Vor diesem Hintergrund scheinen ihre eigenen »Felduntersuchungen« im Eichenhof und an anderen Orten größtenteils Surrogate und kompensatorische Zwangshandlungen zu sein. Zu den Mädchen gesagt: Wenn ihr wollt, könnt ihr
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