Theres
würdest du fluchtartig von hier verschwinden.
(Zur selben Zeit, in der Küche) Ein junger Mann hat sich aus freien Stücken des Abwaschs angenommen. Über Tisch- und Spültischflächen liegen Handtücher ausgebreitet. Auf ihnen, ordentlich sortiert: Messer hier, Gabeln da, kleine Teller auf großen, Gläser nach Form und Größe gruppiert. Ulrike zu Raspe: Was um Himmels willen machst du da? Raspe zu Ulrike: Hast du mal versucht, deine Küche metaphorisch zu deuten?
(Im Wohnzimmer) Horst Mahler hat seinen Bergarbeiterhelm im Bücherregal abgelegt und entwickelt vor Hans-Jürgen Becker, Manfred Grashof und Petra Schelm, der Freundin des Letztgenannten (im zivilen Leben Friseuse) eine These, ursprünglich von Enzensberger vorgebracht: »Der neue Faschismus ist die Parodie der Konterrevolution«. Mahler: Eine total richtige Beobachtung. In den Studentenkollektiven, wie überhaupt in der außerparlamentarischen Opposition, tendiert man dazu, die Kraft der Gesellschaftsschichten, von denen keine Bedrohung ausgeht, zu überschätzen und das wirkliche Drohbild zu unterschätzen. Von den Kleinbürgern, die sich an ihren puritanischen Wertvorstellungen festbeißen und in Krisensituationen auf hysterischen Konsum zurückfallen, hat man nichts zu befürchten. Soufflierte Frage: Wer ist dann der tatsächliche Feind? Mahler: der Geheimdienst.
(Auf dem Korridor) Telefonklingeln.
(Aus der Toilette) Baader: Wenn das für mich ist, bin ich nicht zu Hause.
(Auf dem Korridor) Das Telefon klingelt weiter. Ulrike nimmt ab, ein Küchenhandtuch um den unteren Teil des Hörers gewickelt (eine nunmehr notwendige Vorsichtsmaßnahme). Am anderen Ende fragt eine erregte, möglicherweise angeturnte Stimme nach Christine. Ulrike (ruft in das Gesprächskollektiv hinüber): Gibt es hier eine Christine?
(Im Wohnzimmer) Mahler führt seine Thesenentwicklung weiter: In rein juristischer Hinsicht kann man sich fragen, was dieser eigentlich für eine Funktion erfüllt: die Bundesrepublik gegen »äußere Bedrohung« zu schützen, oder deren Bürger unempfänglich zu machen für alle von außen kommenden Impulse, die die Massen mobilisieren könnten und somit das herrschende Regime bedrohen.
*
(Ein Paradox)
Obwohl Ulrike in höchstem Grad eine aktive Teilnehmerin dessen ist, was sich ereignet, und sich in ihrer Eigenschaft als Sprachrohr von Baader und Ensslin in gewisser Weise im Zentrum des Geschehens befindet, verspürt sie immer mehr ein bohrendes Gefühl der Unzufriedenheit. Ihr ist, als würde sie ständig zu spät zu Plätzen gelangen, an denen wesentliche Gespräche stattfinden (Gesprächsgruppen bereits in Auflösung befindlich: Lachen und vertrautes Schulterklopfen). Dieses Gefühl, sich nicht auf gleicher Höhe zu befinden, schafft Frustration: schärft aber zugleich ihre Wachsamkeit. Sie braucht nicht einmal an Ort und Stelle zu sein, um zu bemerken, dass im Gesprächston eine Veränderung vor sich gegangen ist. Als sie das Zimmer verließ, um die Kinder ins Bett zu bringen, war der Raum ein einziges Inferno voll dröhnender Musik und sich überschreiender Stimmen. Als sie zurückkehrt, ist dasselbe Zimmer zu einem feierlichen Seminarraum geworden. Die Gäste sitzen rauchend um den Sofatisch gruppiert, während Horst Mahler gedankenverloren an den Bücherreihen des Regalsauf und ab wandert, den Bergarbeiterhelm erneut unter den Arm geschoben:
MAHLER (referiert) : Zweifelsohne haben wir eine revolutionäre Situation. Die Massen sind bereit, die Arbeiter haben sich gerüstet. Die Frage ist nur, mit welchen Mitteln man sie bewegen könnte, zu den Waffen zu greifen.
Ulrike (»barometerempfindlich«) beobachtet: Irene und Ingrid : zwei der Mädchen vom Eichenhofkollektiv, für die sie die Erlaubnis erwirkt hatte, sich außerhalb der Anstalt aufzuhalten. Jetzt sitzen sie ganz vorn, die Blicke intensiv auf den vor dem Bücherregal priesterlich hin- und herschreitenden Obersten Kommandanten gerichtet, während sie ihre Zigaretten an den »Aschenbechern« abstreifen, die sie aus der Folie der Zigarettenschachteln gefaltet haben. Muss sich fragen: Wie sind die nur hier reingekommen?
Erinnert sich dann: dass sie Irene einen Reserveschlüssel für die Wohnung gegeben hatte, vermutlich in einem Anfall derselben ins Gegenteil verkehrten Misogynie, die im vergangenen Herbst sämtliche ihrer Vorhaben diktiert hatte. (Brauchst du was zu essen, komm zu mir nach Hause und nimm dir, was du möchtest; der Kühlschrank ist voll.) Um dann zu entdecken,
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