Theres
bei mir übernachten; der Kühlschrank ist voll: Nehmt, was ihr wollt – Worte, nicht geäußert in der Absicht zu unterstützen und zu helfen, sondern um die Gewissensqualen zu betäuben. Sie ist jetzt reif für den Gedanken: deutlicher kann sich das falsche Bewusstsein kaum zeigen.
Und dann eines Morgens (oder richtiger gesagt gegen Mitternacht) im Februar 1970. Es klingelt an Ulrike Meinhofs Tür, erst kürzlich ist sie nach Berlin-Schöneberg, Kufsteiner Straße, in eine Vorzeigewohnung gezogen. Stimmen hinter der Verriegelung ( Dürfen wir reinkommen, oder …? ) Gudrun reicht ihr den Geigenkasten: Wir hatten vor, hier eine Weile zu wohnen, kannst du das irgendwo gut aufbewahren?
Frau Meinhof, wo genau sind Baader und Ensslin gewesen, bevor sie mit Ihnen Kontakt aufnahmen?
Ich weiß es nicht.
Sie wissen es nicht? Soll man das so deuten, dass Sie uns diesen für die Untersuchung so wichtigen Teil der Information nicht mitteilen wollen?
Ich weiß es nicht. Und mir war es auch egal.
Für Sie war es also eine ganz natürliche Sache, Ihre Wohnung fremden Leuten zur Verfügung zu stellen? Mit anderen Worten, es herrschte zu der Zeit ein ziemlich lebhaftes Kommen und Gehen bei Ihnen daheim?
Für mich war es nur ein natürlicher Akt der Solidarität. Ich kann Ihnen dabei helfen, dieses Wort zu schreiben, wenn Sie möchten .
*
Woran sich Ulrike erinnert. Baaders vollkommen selbstverständliche Inanspruchnahme ihrer Wohnung. Zunächst ein kurzer Rundgang, um, wie er sagte, die Lage zu checken; ein anerkennendes Nicken in Richtung der Bücher im Regal, zu einer Wand, auf die jemand ENTEIGNET SPRINGER ! gesprüht hatte, und einem gerahmten Cover der Zeitschrift Time (mit den Worten It is Time und einem Bild von Demonstranten in Berlin); wirft sich dann aufs Sofa, ein Knie zur Sofalehne hochgezogen. ( Schöne Wohnung, die du da hast, man könnte fast glauben, du erwartest Staatsbesuch. ) Während Ensslin sich hinkauert und die Plattensammlung inspiziert ( Be … be … be my little Baby … dröhnt aus den Lautsprechern): Los, Baby, wir tanzen! Ulrike selbst ist im Türrahmen stehen geblieben, fast sprachlos: Vielleicht wollt ihr Tee oder irgendwas? Und Ensslins vollkommen entwaffnendes Lachen:
Tee? Mein Gott, Ulrike, das ist doch nicht dein Ernst!
Daran erinnert sie sich. Dass die beiden sie ausgelacht haben (nie zuvor hatte jemand das gewagt); sowie an Ensslins Selbstverständlichkeit, sie mit Vornamen anzureden:
Weißt du was, Ulrike; ich bewundere dich wirklich: dass du dich so durchkämpfst, allein und mit Kindern und so. Hab zu Andreas gesagt: Das ist wirklich emanzipiert .
Doch das war später, in einer der vielen Nächte, als sie in Ulrikes Küche zusammensaßen. Was sie von diesen ersten Abenden in Erinnerung behielt, war Ensslins unbeschwerte Direktheit. Was Ulrike damals, nach Ohnesorgs Tod, als Überspanntheit, geradezu Hysterie ausgelegt hatte ( Das ist die Generation Auschwitz, mit denen kann man nicht argumentieren. ), schien nach dem Gefängnisaufenthalt in reine Energie umgesetzt. Die Frau sendet , hatte sie damals von Ensslin gedacht. Im Vergleich dazu konnte Baader fast »unempfänglich« wirken. Schwer, seine Anziehungskraft zu erklären, wenn man ihn nicht in Bewegung sah. Zusammen (eine Beobachtung, die auch nach dem Besuch in Frankfurt galt) waren sie Gegensatz und Ergänzung füreinander; ein seltsames Paar. Und während Baader seinen nichts sehenden Blick zur Gardinenstange dreht, fährt Ensslin mit ihrer Ulrike-Exegese fort, nunmehr über den Tisch gebeugt, beide Hände um die Unterarme ihrer neuen Freundin:
Aber was ich nicht verstehe, ist, warum du hier vollkommen allein lebst, wie eine verdammte Nonne. Vermisst du nicht ein bisschen Leben und Treiben um dich herum …?
*
(»Leben und Treiben« in der Kufsteiner Straße 12, Berlin-Schöneberg)
(Im Wohnzimmer) Ulrike plädiert für eine neue Form der politischen Führung, basierend auf antiautoritären Prinzipien und DutschkesTheorien zur »Rätedemokratie«. Baader argumentiert dagegen: Aber das ist doch die reinste Scheiße. Wer will denn bei einer antiautoritären Bewegung mitmachen? Wenn man Veränderungen will, muss man jemanden finden, der sich an die Spitze stellen kann und die Kraft hat, sie durchzusetzen.
(Im Flur) Baader zu Homann: »Odio gli indifferenti.« Homann: Und das bedeutet? Baader: Gramsci: Ich hasse die Gleichgültigen. Homann: Bist du in Italien gewesen? Baader: Wenn du wüsstest, wo ich gewesen bin,
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