Theres
REPARIEREN«
Meinhof an Ensslin, 5.6.1972 (chiffriert):
»DENK AN MARIGHELLAS FÜNFTES GEBOT.
BESINNUNG. KOMM NACH HAMBURG.«
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Als wäre nichts von dem Gewesenen gewesen, als wären nicht zwei Jahre vergangen, sitzen sie erneut zusammen in irgendeiner Küche. Wie zwei Schwestern, über die Tischkante gebeugt; Ulrike mit beiden Händen fest um Ensslins Unterarme: Du musst vorsichtig sein: Jetzt übereilt zu handeln heißt, dem Feind jeden Vorsprung zu überlassen. Wir haben immer noch einen Vorsprung, und wir haben Zeit: Wir haben alle Zeit der Welt, um die Struktur umzugruppieren und zu reparieren. Ensslin aber hat nur einen Blick für das, was jetzt Erinnerung ist: Baader lebendig . Er ist die Stimme ihres Willens; ohne ihn ist sie nur stummer innerer Aufruhr, Aggressivität ohne Ventil. Du musst ihn freikriegen, Ulrike; ich weiß, du kannst es. Ulrike erstarrt. Ich weiß, du kannst es. Dieselben Worte, die Renate benutzt hatte, als sie an sieappellierte, die anderen zum Aufgeben zu überreden. Sie denkt: zwei Jahre, und was ist sie in dieser Zeit anderes gewesen, als deren Legitimierung nach außen, das anständige Journalistenaushängeschild , gut zu gebrauchen, um Kontakte zu knüpfen und Wohnungen zu requirieren; kurz gesagt (doch das darf sie nicht denken): deren Geisel . Ensslin: Verstehst du nicht, was sie getan haben, sie haben mir mein Baby, sie haben Andreas genommen. Denkt dennoch: Zwei Jahre intensiven Kampfes und ideologischer Erziehung; wird die Außenschicht abgeschält, bleiben im Grunde nur dieselben irrationellen Gefühlsargumente. Zwei Brandstifter, die in jugendlichem Eifer ihre Jeansknie an der Barriere des Frankfurter Gerichtssaales wetzen, sie wollen nur eins: die Aufmerksamkeit auf sich lenken; schaut uns an, wir sind vorbildlich in allem: aus unserer Liebe zueinander wird eine neue Weltordnung erwachsen. Ulrike erinnert sich: Falter, die in den Modeboutiquen spätnachts von innen gegen die Schaufensterscheiben flattern, ein dunkler milder Wind, der das trockene Laub durch die Straßen der Innenstadt bläst. Das ist Berlin: Ein Konvoi fährt vorüber, die Insassen verborgen hinter den schwarzen Scheiben der Limousine. Traum einer unmöglichen Freiheit. Sie sind nicht größer als wir , nur weil sie mächtiger sind, sondern weil sie darauf beharren, nie gesehen zu werden. Dann denkt sie nichts mehr. Der Kopfschmerz macht es unmöglich. Ensslin: Ich muss fahren. Ulrike: Du bleibst hier. Und Ensslin: Wir müssen ständig in Bewegung bleiben, wir haben keine andere Wahl. Und das ist natürlich richtig. Ulrike drückt ihr die Hände, ein einziges Mal: lässt sie dann gehen.
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Auf Wunsch unserer vielen treuen Hörer senden wir jetzt einen weiteren Beitrag unserer beliebten Serie FANTASTISCHE FAKTEN :
Was würdest du auf eine einsame Insel mitnehmen? Die Frage sagt Ihnen bestimmt etwas. Das Gedankenexperiment ist ein beliebtes Gesellschaftsspiel in vielen deutschen Familien. Die meisten antworten sicher mit dem Namen einer lieben und geschätzten Person, den Titeln einer Reihe vonBüchern, die wir gern noch einmal lesen würden. Praktischer Veranlagte antworten vielleicht mit einer Liste lebenserhaltender Konserven und dem Namen ihres Lieblings-Mineralwassers. Doch was halten Sie von – einer Maschinenpistole und der Kopie des Treueschwurs gegenüber der kaiserlichen japanischen Armee?
Ein anderer Horst Herold als der BKA -Chef gleichen Namens legt das Ohr an den Radioapparat, während sich auf seinem schweren übernächtigten Gesicht langsam ein Lächeln ausbreitet. Liefe diese Szene im Fernsehen, würde jetzt ein Untergebener – wie wär’s mit einem »Adjutanten« ? – den Raum betreten, eine Weile neben dem Radio stehen bleiben, sich dann zu ihm umdrehen und fragen: Woher wissen Sie, dass sie es hört? Auf »Herolds« müdem Gesicht würde flüchtig eine abweisende Grimasse erscheinen, dann würde er gleichgültig die Schultern zucken: Ich weiß es eben, Herr Leutnant; nennen Sie es die Intuition eines Polizisten.
In Herolds Dienstzimmer aber gibt es keine Fernsehkameras; keine Adjutanten geben ihre Anwesenheit durch diskretes Klopfen an der Tür kund; und was die Intuition anbelangt, so ist sie weder mehr, noch weniger entwickelt als bei jedem anderen der vielen Hörer des Senders. Das Einzige, was er weiß, ist, dass die Schlingen ausgelegt sind, und da er ein geschickter Schlingenknüpfer ist, dass früher oder später einer in die von ihm gestellten Fallen gehen muss.
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